Das Cottage von Währing/Döbling#
von
Heidi Brunbauer (Montag, 22. Juli 2013)
Auf gut Wienerisch (vor allem bei den Älteren) heißt es immer noch „die Kotteesch“, einer feineren Wohngegend entsprechend an das Französische anklingend, für das an sich englische Wort „cottage“ („Häuschen“). Dass das ganze Wohnviertel im Wiener Jargon den weiblichen Artikel bekam, könnte auf die Abkürzung der Bezeichnung „Cottage-Anlage“ zurückzuführen sein. Ursprünglich als Reformprojekt für bürgerliche Familien-Wohnhäuser entworfen, wurden hierfür eigenen Typenpläne für eine neue importierte Hausform , das „Cottage“, geschaffen. Die Mitglieder des zu diesem Zweck 1872 gegründeten Wiener Cottage Vereins legten sich auf diese Bau- bzw. Wohnform fest und sicherten sich durch das sogenannte Cottage-Servitut ab (eine grundbücherlich eingetragene Verpflichtung zur einheitlichen Gestaltung der Liegenschaft mit Vorgärten usw. sowie bestimmter gegenseitiger Rücksichtnahme der Bewohner). Mit dem Währinger Cottage entstand so ein Unikat, das in der Folge nach Döbling erweitert wurde und später anhand ähnlicher Anlagen in Gersthof, Hadersdorf, Hietzing, Meidling, Mödling usw. Verwendung fand, die man dann auch im Ausland als „Cottage“ bezeichnete.
Der Cottage Verein#
Der Wiener Cottage Verein wählte aus finanziellen (erschwingliche Grundpreise) und ökologischen Erwägungen das Terrain in Währing: 383 m Seehöhe an den Abhängen der einstigen Türkenschanze mit guter Luft aus dem Wienerwald dank vorherrschender Windrichtung aus West bzw. Nordwest. Der sandige Tonboden war ausreichend tiefgründig für üppigen Baumbestand und Gartenkultur sowie gutes Trinkwasser (ab 1895 Hochquellenwasser).
Die schachbrettartige Parzellierung der Cottage-Anlage entsprach ausländischen Vorbildern und erinnert an antike Stadtplanungen, allerdings ohne eingestreute öffentliche Bauten oder Zentren. Den an sich funktionslosen Mittelpunkt des Cottage bildet der Richard-Kralik-Platz, ein Rondeau, am Schnittpunkt der heutigen Weimarer Straße und Hasenauerstraße.
Der erste vom Cottage Verein erworbene und parzellierte Baugrund (Kleefelder) wurde von der heutigen Haizingergasse, Gymnasiumstraße, Sternwartestraße und Cottagegasse begrenzt. Als dieser Komplex vollständig verbaut war, wurde 1884 ein anrainender Grund im damaligen Ober Döbling gekauft, um die Tätigkeit des Vereins zu sichern und Grundpreissteigerungen zu verhindern. Waren die Häuser der ersten Bauperiode häufiger Zwei- als Einfamilienhäuser und meist Doppelhäuser, wurden die Häuser in der nun folgenden Bauperiode in der Regel freistehend ausgeführt; später entstanden auch Mietvillen in Form von Mehrfamilienhäusern. Die ersten 50 Häuser, in 18 Monaten zwischen 1873 und 1875 errichtet, beherbergten 150 Familien mit ca. 1000 Bewohnern. Heute befinden sich innerhalb der vom Cottage Verein 1994 fixierten Grenzen auf einer Fläche von 1,05 km2 – innerhalb der Straßenzüge: Gymnasiumstraße, Haizingergasse, Edmund-Weiß-Gasse, Severin-Schreiber-Gasse, Hasenauerstraße, Gregor-Mendel-Straße, Peter-Jordan-Straße, Dänenstraße, Hartäckerstraße, Chimanistraße und Billrothstraße – etwa 620 Gebäude mit rund 8000 Bewohnern.
Der bekannte Ringstraßenarchitekt Heinrich von Ferstel hatte bereits 1860 in einer gemeinsam mit dem Kunstgeschichtsprofessor Rudolf von Eitelberger veröffentlichten Schrift über „Das bürgerliche Wohnhaus und das Wiener Zinshaus“ Lösungen des Wohnungsproblems in Wien vorgeschlagen. Die Autoren traten gegen die Erscheinungen der Bauspekulation auf und projektierten für den Mittelstand in den Vorstädten Wohnhäuser („Kleinhauskultur“) in durch Gärten aufgelockerter Verbauung, um die Wohn- und Lebensqualität generell zu verbessern.Ein Ausschuss wurde gebildet, der die Statuten entwarf, für den am 13. 4. 1872 gegründeten Wiener Cottage Verein mit der Zielsetzung, für Beamte, Offiziere, Pensionisten usw. erschwingliche Familienhäuser mit zweckmäßig eingeteilten Wohn- und Wirtschaftsräumen samt Gärten, fernab vom Berufsalltag zu errichten und sie gegen Bar- oder Rentenzahlung (finanziert über Hypothekarkredite) an seine Mitglieder zu verkaufen. Oberbaurat von Ferstel wurde zum ersten Obmann des Vereins gewählt, Erzherzog Karl Ludwig (Bruder von Kaiser Franz Joseph) übernahm das Protektorat und Architekt Carl von Borkowski die Leitung der Baukanzlei, der die Parzellierung vornahm sowie die Grundkonzeption für die Errichtung der vorgesehenen Häuser ausarbeitete: d. h. jeweils einfache, glatte und schlichte Außenseiten bei dennoch effektvoller Gliederung des Baukörpers durch Risalite, Erker und Türmchen. Obwohl die Häuser, die nur 16 % der gegebenen Grundfläche beanspruchen sollten, grundsätzlich „genormt“ waren, wurden im Einzelfall kleinere Änderungen berücksichtigt. Für die Bebauung galt ferner, dass die Einzel- bzw. Doppelhäuser sowohl von einander als auch von der Straße durch Grünstreifen getrennt werden und die an den Rückseiten der Häuser aneinander grenzenden Gärten innerhalb eines „Blocks“ als mehr oder weniger getrennte Anpflanzung erscheinen.
Die Cottage-Baukanzlei#
Während der ersten Jahrzehnte der Cottage-Anlage in Währing beherrschte die Baukanzlei des Wiener Cottage Vereins das Baugeschehen. Bauwerber mussten Mitglieder dieses gemeinnützigen Vereins zur Errichtung von Familienhäusern auf den vereinseigenen Grundstücken, an der Türkenschanze im Grünen gelegen, sein. Der Verein hatte die Funktion eines Bauträgers, wobei er für Planerstellung, Hauserrichtung, Gartengestaltung bis hin zur Finanzierung sorgte. Selbst die Anlage der Gehsteige und Pflanzung der Alleebäume, die anfangs jedem Hauseigentümer durch die Gemeinde auferlegt waren, organisierte der Verein, bis sie diese Verpflichtung 1909 selbst übernahm.Die Baukanzlei unter der Leitung (1873-1894) von Chefarchitekt Carl von Borkowski beschäftigte mehrere junge Architekten, zumeist Schüler (an der Technischen Hochschule bzw. Akademie der bildenden Künste) von Heinrich von Ferstel, dem Vordenker und geistigen Ahnherrn des Cottage, sowie von Dombaumeister zu St. Stephan, Friedrich Schmidt; sie waren die beiden ersten Obmänner des Cottage Vereins. Da die Währinger Baugründe mit der Zeit vollständig verbaut waren, mussten neue Möglichkeiten geschaffen werden, die zur Ausdehnung in Richtung Döbling führten. So erwarben Konsortien von Vereinsmitgliedern ausgedehnte Acker- und Gartengrundstücke, die dann parzelliert wurden. Eine neuerliche rege Bautätigkeit – vielfach, aber nicht mehr ausschließlich im Rahmen der Cottage-Baukanzlei – setzte ab 1890 ein, wobei sich auch ein Wandel der Architektur vollzog. Die anfangs gotisierenden Bauelemente wurden von solchen der deutschen Frührenaissance und des Wiener Barock abgelöst. Gleichzeitig wurden die Grundrisse vielfältiger sowie die äußere und innere Ausstattung großzügiger als bisher gestaltet, dem Wunsch einer vornehmen bürgerlichen Klientel entsprechend, die ihren Wohlstand zu zeigen wünschte. Da die Erbauung von Familienhäusern über den Verein stark abflaute, wurde die Baukanzlei (nicht aber der Cottage Verein) bald nach dem Ersten Weltkrieg aufgelöst.
Neuere Entwicklung#
Nach dem Zweiten Weltkrieg renovierte man – unter dem Diktat von Kapitalmangel und Wohnungsnot – die vielfach durch Bomben beschädigten Villen zumeist auf sparsame Art, wodurch ehemalige Fassadendekors, Ziergiebel sowie Türme häufig beseitigt und manche der Häuser durch architektonisch radikale Umbauten zum Teil total verändert wurden; die Hausgärten büßten vielfach aus ökonomischen Erwägungen ihre ursprüngliche Gestaltung ein. Mehr oder minder von Bombenschäden betroffene Villen sowie solche, die viele Jahre leer standen, verwahrlosten oder verfielen, wurden ein Opfer der Spitzhacke und durch eher schmucklose Neubauten mit möglichst vielen Eigentumswohnungen, auch zu Lasten der Gartenflächen, ersetzt. Hatte das typische Cottage-Haus neben Parterre oder Hochparterre nur ein Stockwerk und eine Mansarde, so sind bei den Neubauten der Jahrtausendwende fünf Wohnebenen zu zählen. Diese Bausünden beeinträchtigen gravierend den Wert des Cottage als architektonisches Ensemble.
Zwischen 1975 und 1979 erklärte die Gemeinde Wien schrittweise zunächst den Währinger und dann den Döblinger Cottage-Bereich zur Schutzzone, um das äußere Erscheinungsbild zu erhalten: seither sind Entfernung von Fassadenschmuck und Hausabbruch grundsätzlich verboten. In der Praxis sind die Einschrittsmöglichkeiten für die Denkmalschützer vielfach jedoch gegenüber den Baulobbies bzw. –interessen begrenzt.
Vom Reformprojekt zur Nobeladresse#
War das Cottage ursprünglich als mittelständische Wohnform für Beamte, Lehrer, Offiziere usw. gedacht, so gesellten sich bereits in den 1870er Jahren Künstler (aus Burgtheater, Hofoper und Konzertwelt) dazu. Bald entdeckten auch Journalisten, Schriftsteller, Ärzte und Rechtsanwälte sowie wohlhabende Bürger aus Finanzwelt und Industrie die allgemein geschätzte Grünlage. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stand das Cottage in der Rangordnung der besten Wohnadressen Wiens nach der Inneren Stadt und Hietzing mit seiner Schönbrunn-Nähe noch an 3. Stelle; allmählich jedoch rückte speziell der Döblinger Cottage-Bereich auf den 2. bis sogar auf den 1. Platz. Repräsentative Villen, nachgerade kleine Palais, brachten hier die gesellschaftliche Geltung der Eigentümer durch das äußere Erscheinungsbild aber auch durch aufwändige Interieurs zum Ausdruck.
Berühmte Namen#
Das Bildungsbürgertum dominierte im Cottage und brachte Neues auf den verschiedenen Gebieten von Kunst, Wissenschaft und Politik hervor; ein Labor des Geisteslebens, von dem Anregungen in die ganze Welt hinausgingen und –gehen. Denn hier wohnen und wirken auch heute Künstler von internationalem Ruf, verfassen Autoren verschiedener Bereiche ihre Schriften und nehmen Persönlichkeiten als Politiker oder hohe Beamte Einfluss auf das öffentliche Leben.
Die wohl bekanntesten Namen unter den Schriftstellern des Cottage sind Arthur Schnitzler (1180., Sternwartestraße 71) und Felix Salten (1180., Cottagegasse 37). Als Komponisten von Weltruf sind Gustav Mahler (1180., Weimarer Straße 46), Emmerich Kálmán (1180., Hasenauerstraße 29) und Erich Wolfgang Korngold (1180., Sternwartestraße 35) hervorzuheben. Auch Operndiva Maria Cebotari (1180., Weimarer Straße 65) und Bariton Thomas Hampson (1180., Colloredogasse 31) waren bzw. sind international geschätzt. Unter die großen Mimen ihrer Zeit fallen Josef Kainz (1190., Lannerstraße 24-26) und die Schauspielerdynastie Thimig (1180., Gymnasiumstraße 47). Der Maler Arik Brauer (1180., Colloredogasse 30) ist im Cottage der bekannteste seiner Zunft. Unter den Wissenschaftern haben die Physiker Ludwig Boltzmann (1180., Haizingergassen 26) und Nobelpreisträger Wolfgang Pauli (1180., Anton-Frank-Gasse 18) größtes Ansehen errungen. Als Politiker hat für Österreich vor allem Leopold Figl (1190., Peter-Jordan-Straße 62) Geschichte geschrieben.
Emigration, Deportation und Arisierung#
Ein Aderlass und Bruch in der Sozialstruktur bedeutete die Deportation und Emigration zahlreicher Cottage-Bewohner, ausgelöst durch die nationalsozialistische Machtergreifung. Häuser wurden „arisiert“ (beschlagnahmt und enteignet), zumeist in den späten 1940er Jahren rückerstattet, jedoch in vielen Fällen dann verkauft. Die Anzahl der Villen mit durchgehenden Eigentümergenerationen seit der Errichtung ist klein.
Neue Bewohner zogen in das Cottage, und insbesondere die nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Eigentums-Wohnanlagen ermöglichten es auch Angehörigen der Mittelschicht, sich in der beliebten Grünlage anzusiedeln; eine Entwicklung, die an sich dem ursprünglichen Grundsatz der Cottage-Anlage entspricht, im Gegensatz zu einem „Nobelviertel“. Im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts vollzog sich auf Grund neuer Lebensgewohnheiten und -bedürfnisse sichtlich ein Wandel vom mehr oder minder reinen Wohnviertel zum stadtnahen Wohn-Arbeitsgebiet im Grünen. Kutscherhäuschen, die einst zu vielen Villen gehörten, sind jetzt durch Garagen ersetzt, wofür man bereits in der Zwischenkriegszeit Kellerbereiche umwidmete oder auch Zubauten errichtete. Die Mansarden, wo einst die Jugend oder das Personal untergebracht waren, und Dachböden wurden vielfach zu kompletten Wohnungen ausgebaut. Ferner regte sich allmählich das Bewusstsein, erhaltenswerte Bausubstanz aus kulturhistorischen und architektonischen Gründen (wie etwa Akzeptanz des „Historismus“) zu schützen und zu restaurieren. Dazu kommen verstärkt baubiologische Überlegungen, wonach es heute möglicherweise zweckdienlicher ist, die einst mit „gesundem“ Material errichteten Villen zu sanieren als neue „Öko-Häuser“ zu bauen; eine Art neue Dimension des Denkmalschutzes. So werden insbesondere seit den 1990er Jahren bestehende Privatvillen aufwändig und professionell revitalisiert sowie gleichzeitig modernen Wohnbedürfnissen angepasst.
Das Standardwerk von Heidi Brunnbauer: "Im Cottage von Währing/Döbling ... Interessante Häuser - interessante Menschen"
- Band 1: 268 Seiten, 98 Duplexabbildungen;
- Band 2: 328 Seiten, 145 Duplex- und 4 Farb-Abbildungen;
- Band 3: 220 Seiten, 121 Duplexabbildungen.
Bilder der Buchumschläge von der Autorin freundlicher Weise zur Verfügung gestellt.
Alle drei Bände im repräsentativen Schuber, incl. Häuser- und Personenverzeichnis, Edition Weinviertel, Gösing/Wagram, € 82,50
office nospam@TUGraz.at @edition-weinviertel.at
Weiterführendes
- Burgen, Schlösser, Paläste und Villen in Döbling – Einst und was davon geblieben ist (Essay von Zentner E.)
-- Lanz Ernst, Sonntag, 4. Oktober 2020, 07:10