Urvater einer Dynastie#
Vor 800 Jahren, am 1. Mai 1218, wurde Rudolf von Habsburg geboren, der Erste aus dem Herrscherhaus auf dem Thron des Heiligen Römischen Reiches. Eine Spurensuche in Speyer - seiner letzten Ruhestätte.#
Von der Wiener Zeitung (28. April 2018) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Oliver Bentz
"‚Auf nach Speyer! Auf nach Speyer!‘ / Ruft er, als das Spiel geendet; / ‚Wo so mancher deutsche Held / Liegt begraben, sei’s vollendet!‘". Diese Sätze legt der schwäbische romantische Schriftsteller Justinus Kerner dem König Rudolf von Habsburg, der merkt, dass sein Leben dem Ende zugeht, in seinem 1820 veröffentlichten Gedicht "Kaiser Rudolfs Ritt zum Grabe" in den Mund. Kerners Poem ist nur eine von vielen literarischen Überlieferungen, die sich das Leben und das Ende Rudolf von Habsburgs, des ersten Habsburgers auf dem Thron des Heiligen Römischen Reiches, zum Thema genommen haben. Vor 800 Jahren, am 1. Mai 1218, wurde der Herrscher geboren - im Dom zu Speyer fand er 1291 seine letzte Ruhestätte.
Im Südwesten Deutschlands, in Germersheim am Rhein, dem er 1276 die Stadtrechte verliehen hatte, hielt sich Rudolf mit seinem Regierungsapparat auf, als ihm im Sommer 1291 seine Ärzte das baldige Ende seines Lebens ankündigten. Im Wissen des nahenden Todes soll er sich seinen Sterbeort und seine Grabstätte selbst ausgesucht haben.
Neben dem letzten auf deutschem Boden beigesetzten Staufer, Philipp von Schwaben, wollte er in der Krypta des von den Saliern erbauten und als Grablege bestimmten Domes zu Speyer unter den ganz Großen des Reiches beigesetzt werden. Nachdem er ins etwa zwanzig Kilometer von Germersheim entfernte Speyer geritten war, starb er am 15. Juli 1291 im Schatten der Kathedrale, in deren Kaisergruft er nur drei Tage später beigesetzt wurde.
Lebensgetreu#
Die Krypta des Speyerer Domes ist der älteste Teil des Sakralbaus. 1041 wurde die Unterkirche geweiht und blieb bis in unsere Tage nahezu unverändert. Aufgrund ihrer Größe, ihrer klaren geome-trischen Gliederung und des Farbspiels der Gurtbögen gilt sie als eine der schönsten Unterkirchen der Welt. Im Grab, in dem Rudolf bestattet wurde, sollte ursprünglich Kaiser Friedrich I. Barbarossa neben seiner Frau Beatrix beigesetzt werden. Weil aber der Stauferkaiser 1190 im Fluss Saleph in der heutigen Südosttürkei ertrank, blieb die Grabstätte bis zum Tod Rudolfs leer. Für den Speyerer Mariendom, in dem schon vier Kaiser des Mittelalters ihre letzte Ruhe gefunden hatten, war Rudolfs Bestattung eine letzte Blütezeit herrscherlicher Sepulturen.
In unmittelbarer Nähe des Grabes Rudolf von Habsburgs in der Krypta befindet sich heute ein Epitaph, ein Grabdenkmal mit einer lebensnahen Darstellung des Bestatteten. Es war zunächst im Dom aufgestellt worden, kam dann im 16. Jahrhundert an den Sterbeort Rudolfs, den Johanniterhof in Speyer, und fand erst im 19. Jahrhundert wieder seinen Platz in der Krypta.
Die reliefartige, aufrecht in die Wand eingelassene Grabplatte wurde von Rudolf wohl noch zu Lebzeiten selbst in Auftrag gegeben und um das Jahr 1285 von einem unbekannten Bildhauer angefertigt, von dem in der Forschung vermutet wird, dass er aus dem Umkreis der Straßburger Dombaumeister stammt. Sie zeigt den König im Alter von etwa 66 Jahren mit seinen Insignien Krone, Zepter und Reichsapfel - stehend auf einem Löwen, dem Symbol der Macht. Das Gesicht zieren die für die Habsburger charakteristische markante Nase sowie die typische starke Unterlippe. Es ist bereits vom Alter des Herrschers gezeichnet.
Mit ihrer individuellen porträthaften Darstellung des Verstorbenen wohl in voller Lebensgröße ist die Grabplatte eine Besonderheit, denn im Mittelalter waren solche lebensgetreuen Darstellungen unüblich; in der Regel zeigten Herrscherbilder den Typus des jugendlichen Königs in der Blüte seiner Jahre ohne persönliche Erkennungsmerkmale. So ist diese nach dem Leben geschaffene Darstellung ein ganz seltenes "realistisches" Bildzeugnis eines mittelalterlichen Herrschers, das dessen Charakterzüge wiedergibt. "Unvergesslich prägt sich das lange, ernste, sorgenvolle und höchst würdevolle Kaisergesicht ein", beschrieb die Schriftstellerin Ricarda Huch an der Wende zum 20. Jahrhundert ihren Eindruck anlässlich eines Besuches an Rudolfs Grab.
Der Bedeutung Rudolfs für das Geschlecht der Habsburger und der Tatsache, dass Rudolf seiner Grablege und seinem Grabmal im Speyerer Dom große Bedeutung beimaß, war sich besonders auch sein Nachfahre Maximilian I. bewusst. Beginnen doch mit Rudolf die meisten Stammbäume der Habsburger und gilt er vielen als Urvater der Habsburger-Dynastie.
Malerische Wiedergabe#
Die historische Bedeutung Rudolfs resultiert aus seiner - überraschenden - Wahl zum römisch-deutschen König 1273 in Frankfurt am Main. Er war der erste Habsburger auf dem Thron des Heiligen Römischen Reiches. Mit ihm kam das Geschlecht der Habsburger aus seinem Stammgebiet in der Schweiz in den Donauraum, der zum Zentrum ihrer Herrschaft wurde. Nachdem Rudolf seinen größten Widersacher, den böhmischen König Ottokar II. Přemysl, besiegt hatte, belehnte er seine Söhne 1282 mit den Herzogtümern Österreich, Steiermark und Krain sowie mit der Windischen Mark.
1494 reiste Maximilian I. in die Pfalz, um Rudolfs Grab zu besuchen. Während sich Maximilians Pläne, vom Salzburger Bildhauer Hans Valkenauer ein monumentales Grabmal für die im Dom bestatteten Herrscher schaffen zu lassen, zerschlugen - Reste der begonnenen bildhauerischen Arbeit finden sich heute im Salzburg Museum -, führte der Hofmaler Hans Knoderer seinen Auftrag aus, eine malerische Wiedergabe des Grabmals mit dem Bildnis Rudolfs anzufertigen.
1508 kam der Künstler in den Dom, um das Bild zu malen, das sich heute in der Sammlung des Kunsthistorischen Museums in Wien befindet. Besonders interessant an dem Gemälde ist, dass es die Grabplatte in ihrer ursprünglichen originalen farblichen Fassung wiedergibt, die auf dem Stein über die Jahrhunderte verloren ging. Das Gewand ist purpurrot, sein Saum vergoldet, der weiß gefütterte Mantel aus Goldbrokat, die Strümpfe rosa und die Schuhe braun. Und die Krone hat auf dem Bild noch ihre gezackten Aufsätze mit Lilienspitzen, die später bei der Beschädigung der Platte verloren gingen.
Weitere Kunstwerke, die im Speyerer Dom an Rudolf erinnern, sind ein Relief am Bronzeportal des Gotteshauses, das ihn gebeugt auf seinem Pferd sitzend zeigt, sowie ein großes Standbild des Königs aus weißem Marmor in der Vorhalle des Domes, geschaffen auf Veranlassung von König Ludwig I. von Bayern vom Münchner Bildhauer Ludwig Schwanthaler im Jahr 1843, bei dem der Künstler auf volle Porträtähnlichkeit aus war und deshalb nach der in der Krypta befindlichen Grabplatte meißelte. Zudem sind in der Vorhalle auch eine Nischenskulptur Rudolfs sowie drei Lunettenreliefs zu finden, die Szenen aus dem Leben des Herrschers zeigen.
Keine "Kaiserwürde"#
In der Kaisergruft im Dom zu Speyer liegt Rudolf umgeben von Kaisern begraben. Ein "Kaiser", wie ihn Justinus Kerner in der Überschrift seines eingangs zitierten Gedichts betitelt, ist er selbst jedoch nie geworden. Die "Kaiserwürde" war ihm zwar in Aussicht gestellt, jedoch löste er das daran gebundene Versprechen, einen Kreuzzug anzuführen, niemals ein.
Obwohl eine Kaiserkrönung mehrfach terminiert war, verhinderten auch die häufigen Wechsel auf dem Papst-Thron, dass sie tatsächlich stattfand. Rudolf hatte das Territorium und die Hausmacht seiner Familie ausgebaut, aber bis zum Aufstieg der Habsburger zur europäischen Herrscherdynastie, die von 1452 bis 1806 das römisch-deutsche Kaisertum fast ununterbrochen trug, sollte es nach seinem Tod noch über 150 Jahre dauern.
Dennoch erfreute sich Rudolf schon zu Lebzeiten und besonders auch im Laufe der späteren Jahrhunderte immer einer großen Beliebtheit. Vielleicht auch deshalb, weil den nicht unkriegerisch gesonnenen Herrscher die Legende später als frommen, gottesfürchtigen König und makellosen ruhmreichen Stammvater des Erzhauses erscheinen ließ - eine Sicht, die auch Friedrich Schiller in seiner 1803 entstandenen Ballade "Der Graf von Habsburg" zum Ausdruck brachte, bei der er sich auf die überlieferte Legende stützte.
Nach dieser sei Rudolf auf der Jagd einem Priester begegnet, der gerade auf dem Weg gewesen war, einem Todkranken die letzte Ölung zu spenden. Da der Bach über die Ufer getreten und der Steg weggerissen war, soll ihm Rudolf sein Pferd geliehen haben, damit er den Kranken schneller erreichen konnte. Als der Priester das Pferd später zurückgeben wollte, lehnte Rudolf dies ab. Ein Pferd, das in der geweihten Hostie seinen Schöpfer getragen habe, wolle er nicht mehr für die Jagd und den Krieg einsetzen.
Anziehungspunkt#
"Zu Aachen in seiner Kaiserpracht / Im alterthümlichen Saale / Saß König Rudolphs heilige Macht / Beim festlichen Krönungsmahle / Die Speisen trug der Pfalzgraf des Rheins / Es schenkte der Böhme des perlenden Weins / Und alle die Wähler, die Sieben / Wie der Sterne Chor um die Sonne sich stellt, / Umstanden geschäftig den Herrscher der Welt, / Die Würde des Amtes zu üben. // Und rings erfüllte den hohen Balcon / Das Volk in freud’gen Gedränge / Laut mischte sich in der Posaunen Ton / Das jauchzende Rufen der Menge . . .", lässt Schiller seine poetische Schilderung der Krönung Rudolfs beginnen.
So ist der Dom zu Speyer auch ein Anziehungspunkt für jene, die das Gedächtnis an den Herrscher aufrecht erhalten wollen. Wie beispielsweise in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts für eine Delegation der Kraftfahrer der Wiener Polizei, von der sich in Speyer ein historisches Foto erhalten hat. Sie bewältigten 1932 die gut 700 Kilometer Entfernung von Wien nach Speyer auf ihren Zweirädern, huldigten Rudolf vor der Kathedrale und legten später in der Krypta "dem Gründer von Österreich" zum Gedenken einen Kranz nieder.
Und die 800. Wiederkehr von Rudolfs Geburtstag nahm die "Europäische Stiftung Kaiserdom zu Speyer", die sich seit 1999 um den Erhalt und die Erforschung des Weltkulturdenkmals kümmert, gerade zum Anlass für eine wissenschaftliche Tagung über die Herrschaft des Habsburgers und über den mittelalterlichen Aufstieg des Hauses Habsburg zur Weltgeltung, in deren Rahmen zwanzig Sachkenner aus mehreren Ländern den neuesten Forschungsstand zu diesem Thema referierten (der Tagungsband wird 2019 im Verlag Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, erscheinen).
Oliver Bentz, geboren 1969, lebt als Germanist, Ausstellungskurator und Kulturpublizist in Speyer.