Ang’fressen, grantig und liebenswert #
Österreich ist ein Überbleibsel eines geschrumpften Reiches, das von vielen Völkern und deren Traditionen geprägt wird. Gibt es das „österreichische Wesen?“ Eine Spurensuche. #
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wochenzeitschrift DIE FURCHE (28. November 2019)
Von
Franz Zoglauer
Zwischen Dirndln und Lederhosen, Jodlern und Mozartkugeln wird immer wieder nach dem typischen Homo Austriacus gesucht. Ist er so ang’fressen und grantig, wie ihn Manfred Deix einst gezeichnet hat, oder doch irgendwie liebenswert? Gibt es ihn überhaupt noch? Liebt oder hasst er seine Heimat? Das Wort hat ja heute nur allzu oft einen Beigeschmack von Enge, Begrenzung und nationaler Abschottung.
Österreich ist allerdings viel mehr als Heimat. Es ist ein überaus sensibler, vielschichtiger und durchaus gefährdeter Seelenzustand. Ein Überbleibsel eines geschrumpften Reiches, das von vielen Völkern und deren Traditionen geprägt wird. Ein kleines Land, in dem Künstlerinnen und Künstler aus dem Vollen schöpfen können; allerdings sind sie mitunter gefährdeter als anderswo. Die Versuchungen, bei uns geliebt, umarmt und vereinnahmt zu werden, sind besonders groß und man unterschätzt, wie schnell man wieder fallengelassen und vergessen wird.
Der Eindringling, der große Pläne hat, wird nichts zu lachen haben. Die Zwerge und Platzhirsche mit ihren Parteibüchern, gestützt von der Freunderlwirtschaft seltsamster Vereine und Bünde, werden sich gegen ihn zur Wehr setzen. Sie kämpfen gegen Perfektion und Größe aller Art; gilt es doch, bewährtes Mittelmaß, Kompromisse und geheime Gegengeschäfte zu verteidigen. „Man kann sich doch nicht in einem fort umbringen“, seufzte der immer wieder von Ängsten geplagte Dichter Ferdinand Raimund, und Thomas Bernhard formulierte es in seiner berühmten Rede bei der Verleihung des österreichischen Staatspreises mit den Worten: „[…] es ist vieles lächerlich; es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt.“
Anarchische Aktionen #
Konsequente Zyniker und Sprachartisten wie etwa Elfriede Jelinek retten sich in beißende Ironie, andere genießen den Zustand des Leidens. Und da wären noch die fantasievollen Spaßmacher. Bernhards Freund Paul Wittgenstein etwa, der Neffe des berühmten Philosophen, legte tote Tauben auf die Bühne der Staatsoper, um den Niedergang des von ihm geliebten Hauses aufzuzeigen. Der geniale Pianist und Komponist Friedrich Gulda leistete sich zu Lebzeiten eine Generalprobe für seinen Tod. Ich erinnere mich noch an aufgeregte Journalisten im Zug von Salzburg nach Wien, die der Falschmeldung vom Ableben des Künstlers auf den Leim gingen und bereits ihre Nachrufe verfassten, die am nächsten Tag in den Zeitungen erschienen. Hat er sie wohlwollend aufgenommen? Der Tod war ihm immer und damals schon tatsächlich nahe. Paraphrasen über das „glücklich ist, wer vergisst“ prägten sein Leben. Aber auch in seinen Eskapaden bei diversen Festspielen liebte er es, Grenzen zu überschreiten und setzte sich einmal sogar bei einem Konzert splitternackt ans Klavier.
Ein ähnliches Kaliber war Helmut Qualtinger. Auch er wusste dem selbstzufriedenen Kulturbetrieb immer wieder anarchische Watschen zu verpassen. Seine Kollegin aus seinem legendären Wiener Kabarett, Louise Martini, erzählte mir von einem seiner genialsten Streiche. Er ließ in einer Agenturmeldung die Ankunft eines weltberühmten, preisgekrönten Dichters namens Kubuk aus Grönland ankündigen, der seine wichtigsten Werke „Brennende Arktis“ und „Republik der Pinguine“ in Wien verfilmen wollte. Eine beachtliche Zahl von Redakteuren und Fotografen hatte sich am Westbahnhof zur Pressekonferenz eingefunden. Der korpulente „Eskimo-Dichter“ entstieg dem Zug mit einer Kanadier- Pelzhaube auf dem Kopf und stellte sich mit gebrochenem Deutsch vor: „Ich bin Kobuk.“ Es war der verkleidete Helmut Qualtinger. „Keinem der Journalisten ist es eingefallen, hinter diesem Pinguinen- Zauber eine fette Ente zu vermuten“, spottete ein deutscher Kritiker in der Zeitung Die Welt.
Auch heute noch hat so mancher von uns Qualtingers mächtige Sprech- und Sprachbegabung im Ohr, etwa bei seiner Lesung von „Die letzten Tage der Menschheit“, wenn er den Fremdenhass einer aufgebrachten Menschenmenge auf der Wiener Ringstraße akustisch eindrucksvoll vorführte. „Japaner san do! Aufhängen sollt ma die Bagasch bei ihnare Zöpf! – Loßts es gehen! Dös san ja Kineser! – Bist selber a Kineser! – Alle Kineser san Japaner …!“ Diesen Wutbürgern steht die Sprachlosigkeit gegenüber, das Ringen um Worte; ein weiteres wesentliches Charakteristikum unserer Landsleute.
In Hofmannsthals Komödie „Der Schwierige“ graust es Helene Altenwyl vor allem davor, dass es so etwas gibt wie Konversation: Das wären nur „Worte, die alles Wirkliche verflachen und im Geschwätz beruhigen“. Bei Nestroy räsoniert der Schuster Knieriem inwendig und eine Frau, die Stimmer heißt, gibt in einem entscheidenden Moment keinen Laut von sich.
Franz Werfel beklagte sich darüber, dass „das Wort das Bild töte und die Schrift das Wort“, und Arthur Schnitzlers Christine in der „Liebelei“ erzählt ihrem Geliebten, dass ihr Vater früher Lieder komponiert habe, sehr schöne. „Jetzt nimmer?“ „Jetzt nimmer.“ Der Dichter setzte hinter dieses „Jetzt nimmer“ die Regieanweisung „Pause“. Der Kritiker Hans Weigel meinte dazu: „In dieser Pause ist Österreich.“Es ist die Angst, etwas auszusprechen, das etwas Endgültiges bedeuten könnte. Sich die Möglichkeit zu nehmen, im Fragmentarischen auch im letzten Augenblick noch Änderungen vornehmen zu können. Mangelndes Selbstvertrauen spielt da eine nicht unwesentliche Rolle. So hat Peter Rosegger im Streit mit einer lokalen Verwaltungsbehörde einmal zornig ausgerufen: „Die Hälfte der Herren Gemeinderäte ist verrückt!“ Bereits wenige Minuten später fügte er mit sanfter Stimme hinzu: „Die Hälfte von ihnen ist ja nicht verrückt.“ Negatives wird positiv ausgedrückt. Die Österreicher tun sich nun einmal schwer damit, geradeheraus etwas Unangenehmes zu sagen. Da gibt man sich diplomatisch, ist eher bereit, eigene Schwächen aufzuzählen und seine Meinung zu ändern. Unsicherheit ist eine jener Schwächen, die zu einem unserer besonders häufig auftretenden Wesensmerkmale führt, dem übergroßen Gehorsam und devoten Dienen. „Der Gescheitere gibt nach“ heißt es dann oft und die Dichterin Marie von Ebner-Eschenbach fügte hinzu: „Eine traurige Wahrheit; sie begründet die Weltherrschaft der Dummheit.“
Moderne Zeiten #
Durch die neuen Medien hat sich freilich auch bei uns die Sprache verkürzt, entstellt und radikalisiert. Sätze werden zu Wortfetzen verstümmelt. Österreichisches wird eingedeutscht. Schimpfworte, die nur leise oder gar nicht ausgesprochen wurden, verunzieren nun auch in seriösen Medien Titel und Webseiten. Noch geht man da flapsig mit der Mode mit, versucht Quoten und Auflagen zu steigern und vergisst, dass Worte auch verletzen und töten können.
Positiv mag nur auf den ersten Blick erscheinen, dass sich Leichen heute schwerer verbergen lassen und dank der Gier der Medien schneller ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden. Keine Bange. Unsere Keller verbergen noch genügend geheimnisvolles Grauen. Braune Flecken werden uns noch lange beschäftigen und an sadistischen Erziehern herrscht ebenso kein Mangel wie an genialen Denkern. Die Schönheit des Landes wird uns künftig ebenso verführen wie die Rätselhaftigkeit des österreichischen Wesens. „Es ist in gewissem Sinn“, wie Ludwig Wittgenstein meinte, „subtiler als alles andere, und seine Wahrheit ist nie auf der Seite der Wahrscheinlichkeit.“