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Vom Autodidakten zum Professor #

Die Albertina möchte vermehrt zeitgenössische österreichische Fotokünstler präsentieren. Den Anfang macht sie mit Alfred Seiland, der sich sein Handwerk in den USA selbst beigebracht hat. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE, 30.August 2018

Von

Wenzel Müller


USA-Reise. Alfred Seiland suchte bewusst jene Orte auf, die auch sein künstlerisches Vorbild, der Fotograf William Eggleston, festgehalten hat

Ocean Beach, Connecticut
Ocean Beach, Connecticut
Foto: Privatbesitz © Alfred Seiland
Truro, Massachusetts
Truro, Massachusetts
Foto: Privatbesitz © Alfred Seiland
Toltec, Arizona
Toltec, Arizona
Foto: Albertina, Wien © Alfred Seiland

Manchmal sind es scheinbare Kleinigkeiten, die über den weiteren Lauf des Lebens bestimmen. Bei Alfred Seiland war es eine in einem Fußballspiel zugezogene Schulterluxation, die das Ende seiner Karriere bedeutete. Dabei wäre er so gerne Fußballprofi geworden.

Damals, vor gut einem halben Jahrhundert, war die Enttäuschung groß. Heute, im Rückblick, können wir in der Verletzung fast einen Glücksfall sehen. Seiland, 1952 in der Steiermark geboren, tauschte den Ball gegen die Kamera und wurde Fotograf – und zwar einer der erfolgreichsten in Österreich. Ihm widmet die Retrospektive.

Im ersten Raum ist Seilands Serie „East Coast – West Coast“ zu sehen. Aufnahmen von Straßenkreuzungen, Motels, Leuchtreklamen. Die Motive erinnern an William Eggleston, jenen amerikanischen Fotografen, der in den 1970er-Jahren die Kunstfotografie sowohl inhaltlich als auch formal erweiterte, indem er gewöhnliche Alltagsszenen in Farbe festhielt. Dazu muss man wissen, dass die sogenannte anspruchsvolle Fotografie bis dahin schwarz-weiß zu sein hatte.

Die Ähnlichkeit zwischen den Arbeiten der beiden Fotografen ist kein Zufall. Als Mittzwanziger reiste Seiland durch die USA und suchte bewusst jene Orte auf, die Eggleston im Bild festgehalten hatte. Sie fotografierte Seiland ein weiteres Mal, in Anlehnung an sein Vorbild, jedoch mit erkennbar eigener Handschrift.

Eine Ausbildung zum Fotografen hat Seiland nie gemacht, er brachte sich das Handwerk vielmehr selbst bei. Begonnen, erzählt er, hat alles in einer Fotogalerie in einer kleineren amerikanischen Stadt. Jeden Tag kam er vorbei, studierte nicht nur die Ausstellung sondern auch die zahlreich aufliegenden Fotobände. Das ist es, dachte er sich, in diese Richtung möchte ich gehen! Seiland legte sich eine Großbildkamera zu, die er auch heute noch vorwiegend benutzt. Die analoge Technik schafft bei kleiner Blendenwahl, was mit digitaler (noch) nicht möglich ist: eine durchgehende Bildschärfe.

Helmut Kohl vor der Kamera #

Technik ist das eine, Bildkomposition das andere, wozu nicht zuletzt gehört, für ein Motiv die passende Lichtstimmung zu finden. Gerade diese Fertigkeit gehört zu Seilands Stärken. Jedes seiner Bilder strahlt eine bestimmte Atmosphäre aus.

Gerade als Seiland in der amerikanischen Kunstszene Fuß zu fassen begann, erhielt er einen Auftrag, der ihn ab 1995 für die nächsten sechs Jahre ganz in Anspruch nehmen sollte: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung engagierte ihn als Fotografen für ihre Werbekampagne „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“. Es ging darum, bekannte Persönlichkeiten, jeweils verborgen hinter einer aufgeschlagenen Zeitung, in einer für sie markanten Umgebung abzulichten. Reinhold Messner in der Felswand beispielsweise.

Einmal, erzählt Seiland im Gespräch mit der FURCHE, hatte er Helmut Kohl, den deutschen Bundeskanzler, vor der Kamera. Ort der Aufnahme: ein Schiff auf See. Kohl wollte sich vorne an die Reling stellen. Nein, kein schönes Arrangement, befand der Fotograf. Bitte weiter hinten in einem Klappsessel Platz nehmen. Das Problem: Der schwergewichtige Kanzler passte nicht in einen normalen. Also wurde kurzerhand aus zwei Sesseln ein neuer, breiterer gefertigt. Nun saß der Kanzler, aber, nächstes Problem, die Zeitung flatterte im Wind. Pappe musste her. Seiland fotografierte von einem Hubschrauber aus; der Pilot hatte dabei exakt eine bestimmte Höhe zu halten, damit der an der Schiffsseite angebrachte Schriftzug „Europa“ auch noch aufs Bild kam.

Wer das Foto in der Ausstellung betrachtet, ahnt kaum, welche Arbeit es erforderte. Kam es für den Fotografen in Amerika darauf an, interessante Motive in der vorgefundenen Wirklichkeit zu entdecken, so in der Werbekampagne, sich witzige und überraschende Bildideen einfallen zu lassen – und nicht zuletzt auch mit den (berühmten) Menschen gut auszukommen. Vom Tellerwäscher zum Millionär, diesen Mythos halten die USA hoch. Seiland schaffte es vom Autodidakten zum Professor – seit 1997 unterrichtet er an der Kunstakademie in Stuttgart. Der entgangene Traum von einer Profikarriere ist verarbeitet.

Alltagsszenen. Für ein Motiv die passende Atmosphäre zu finden, zählt zu Alfred Seilands Stärken

Westport, Washington
Westport, Washington
Foto: Albertina, Wien © Alfred Seiland
Loipersdorf, Steiermark
Loipersdorf, Steiermark
Foto: Albertina, Wien © Alfred Seiland

DIE FURCHE, 30. August 2018