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Schatz-Suche in einer sozialkritischen Kunstepoche#

von

Wilfried Daim


Wie eine der größten privaten Kunstsammlungen, in der sich vor allem einige weitgehend unbekannte Klassiker der sozialkritischen Kunst der österreichischen Zwischenkriegszeit finden, entstand. Ein Kunstsammler erzählt. Seit meinem sechzehnten Lebensjahr sammle ich Kunst. Dies war kein isolierter Vorgang, sondern hing eng mit meiner Entwicklung in allen anderen Bereichen zusammen, mit der weltanschaulich-politischen, religiösen und der wissenschaftlichen im Bereich der Psychologie. Dabei schien der familiäre Ausgangspunkt keineswegs so zu sein, dass er eine Beschäftigung mit Kunst nahe gelegt hätte.

Mein Vater stammte aus dem Kleinbürgertum, doch zerbrach die ökonomische Basis in der Folge des ersten Weltkrieges, so dass er sich als unselbständiger Arbeiter verdingen musste. Er war ein engagierter Christlichsozialer, der den Nationalsozialismus zutiefst hasste. Dass er 1937 starb, war so für ihn vielleicht kein Nachteil, da ihm wohl das KZ gedroht hätte. Er hatte auch bemerkenswerte kulturelle Interessen, so vor allem auf dem Gebiet der Musik, denen er mit einem Detektorapparat und einem Kopfhörer des Nachts nachging. Da gab es die besten Programme. Aber von bildender Kunst war zu Hause niemals die Rede - es gab nur eine van Dyke-Madonna-Kopie über den Ehebetten der Eltern, das war alles.

Entscheidend war jedoch, dass 1939 in die Kalvarien-Pfarre in Hernals ein Kaplan kam, der sofort die männliche Jugend übernahm. Er hieß Weinand, war deutscher CVer aus Koblenz und hatte neben Theologie auch Kunstgeschichte studiert. Er erwartete von jedem in seiner Pfarrjugend, dass er sich nicht nur beruflich, sondern darüber hinaus auch um eine Allgemeinbildung bemühte; so etwa im Bereich der bildenden Kunst oder der Musik. Er selbst war Kunstsammler und kaufte bei Trödlern und Antiquitäten-händlern billig ein.

Kunsterlebnis Madonna#

Das entscheidende Kunsterlebnis hatte ich aber bei einer Kopie der Madonna im Rosenhag von Stefan Lochner, die er besaß. Sie entsprach zunächst keineswegs den naiven naturalistischen Vorstellungen von Kunst, die ich mir gemacht hatte, wobei ich nicht wusste, woher ich diese hatte. Denn ihr Körper unter ihrem Gewand war kaum existent. Ich äußerte mich einmal kritisch darüber, und er sagte mir etwa: "Glaub mir, das ist beste Kunst. Lass du Zeit und du wirst daraufkommen."

Ich vertraute ihm und plötzlich erlebte ich, dass diese gemalte Frau einen bestimmten Charakter hatte: Sie war milde, liebevoll-freundlich und gleichzeitig hoheitsvoll. Im Vollsinn lässt sich das, was sie ausstrahlte, verbal nur sehr unvollständig ausdrücken, und wenn man versucht, sich darin zu schulen, findet man das notwendige - und doch ungenügende - Vokabular viel eher bei Dichtern (sie sind die wahren Professionals der Sprache) als in der Wissenschaft. Aber es war nur plötzlich klar: Das muss man als Künstler können. Wenn ich es auch damals noch nicht hätte ausdrücken können, es war der psychologische Gehalt, eines Menschen und seiner Gefühlslage, die "Stimmung" einer Landschaft, die immer auch die eines Menschen ist, etc., was ausgedrückt werden muss. Kommen wir zu diesem Bild zurück: Hier war eine sanft hoheitsvolle und doch auch eine bedingungslose Mütterlichkeit zu spüren. Der Künstler hatte es geschafft, wollte und sollte er doch die Mutter aller malen.

Die kollektive Stimmungslage kam dem entgegen, denn wenig später, 1939, begann der Krieg und fast alle, die den Ersten Weltkrieg noch in Erinnerung hatten - und das war unsere ganze Elterngeneration - wurden von düsteren Ahnungen des Kommenden geplagt. Die Sehnsucht nach Geborgenheit wurde oft verdrängt, doch spürte man leise, man konnte eine solche Mutter brauchen.

Der Einstieg in das Kunsterleben und der Anreiz zum Sammeln hatte begonnen. Ich habe später nur noch einmal etwas ähnlich Intensives erlebt: Von Strebersdorf, wo ich 1933-37 die Untermittelschule besuchte, kannte ich Otto Mauer, wenn auch nur oberflächlich, und auch während des Krieges hatte ich etliche sehr mutige Predigten von ihm gehört. Doch erst nach dem Krieg kam ich mit seinem Engagement für die moderne Kunst in Berührung. Ich erlebte hier keinen Bruch mit meiner Grundauffassung mehr, denn wer Romanik und Gotik in meinem Sinne versteht, der hat auch einen Zugang zur modernen Kunst.

Ein Wiener Motiv#

Vom Krieg 1945 mit nur einem Fuß zurückgekommen, in eine Zimmer-und Küche-Wohnung, von der nur die Küche übrig war, doch voll Begeisterung für den Neuanfang, begann ich alsbald einiges zu erwerben, so 1947 etwa die Kubinserie "Ali der Schimmelhengst" in Otto Kalliers Galerie St. Stephan um 120 S, was allerdings für mich damals sehr viel Geld war. Und ich lernte auch einige Künstler kennen, von denen ich etwas erwarb, doch stand dahinter noch kein Plan. Dies sollte sich erst gegen Ende der sechziger Jahre ändern.

Da zeigte mir der jüngere Sohn des Filmregisseurs Georg Wilhelm Pabst 14 Holzschnitte von einem mir damals völlig unbekannten Künstler: Otto Rudolf Schatz. Er fragte mich, ob ich mich für "sozialkritische" Kunst interessiere. Mir war ein solches Interesse damals noch nicht bewusst, doch sah ich mir die Sachen in Ruhe an. Ein Blatt fiel mir sofort auf. Darauf ist ein Fiaker am Graben in Wien. Er sitzt vorne auf dem Bock, hat sich jedoch weitgehend umgedreht. Seinen Berufszylinder hat er gezogen, er hält ihn maximal weit am ausgestreckten Arm, demonstrativ grüßend. Der Holzschnitt ist nicht groß: 13,5 x 9 cm und entsprechend klein ist daher das Gesicht dieses Fiakers - etwa 15 x 15 mm. Aber mich faszinierte sofort dessen Ausdruck, der unverständlich ohne die andere Person ist. Diese sieht man nur von hinten. Es handelt sich um einen Herrn mit Frack und Zylinder, der dabei ist, den Wagen zu besteigen. Sein Gesicht sieht man nicht, doch genügen offensichtlich die beiden Kleidungsstücke als Signatur seiner Kaste. Bedeutsam ist jedoch der Fiaker und sein Ausdruck: er fragt nach dem gewünschten Ziel und sein Gesicht drückt eine verhaltene, ordinäre Grobheit aus, mit seinen fast ganz zugedrückten Augen, was seinen Blick schärfer, abschätziger und aggressiver macht. Den rechten Arm gar zu ausgestreckt, könnte er gerade sagen: "G'schamster Diener, gnä' Herr!" Die Frau von Friedrich Heer sagte dazu treffend: "Wie der Qualtinger in seiner besten Zeit". Hinter zäher Freundlichkeit steckt hier verdeckte, ordinäre, verächtlich machende Aufmüpfigkeit. Tatsächlich handelt es sich bei dem Bild um eine Illustration zu Stefan Zweigs Novelle "Phantastische Nacht".

Einkauf in New York#

Das Bild machte mir sehr großen Eindruck und ich entschloss mich sofort, diesen Künstler zu sammeln. Hier faszinierte mich nicht nur die geballte künstlerische Ausdruckskraft, sondern auch die Thematik, in diesem Fall die soziale Spannung, die hier zu spüren ist und die genau zu der Zeit passt, in der es entstand, der Zwischenkriegszeit. Und von hier aus gelang es mir, mich in der Kunst dieser Epoche zu orientieren. Sie ist bislang immer noch weit unterschätzt und kam aus rein politischen Gründen unter die Räder. Denn die Künstlergeneration, die um 1918 zu arbeiten begann, also um die Jahrhundertwende zur Welt kam, hatte keine Chance, sich in größerem Sinn durchzusetzen. Denn 1938 wurde dieses Land besetzt und schon seit 1933 war Deutschland für österreichische Kunst verschlossen. Und nach 1938 gingen bedeutende Künstler, Kritiker, Kunstschriftsteller und Händler ins Ausland.

Für mich war diese Situation jedoch kein Nachteil. Denn diese Kunst war praktisch unentdeckt und hier, erst recht aber in den USA, sehr billig, sodass ich sie mir leisten konnte. Daher ging ich auch über Schatz bald hinaus. Ich stieß in New York, als ich dabei war, Schatz einzukaufen, zufällig auf ein sehr intensives Aquarell von Franz Probst, der alsbald der Favorit in meiner Sammlung wurde.

Es handelt sich dabei um das Aquarell "Die Löwin und der Fuchs" aus 1926, das die Spannung zwischen einer Großkatze und einem provozierenden Fuchs wiedergibt, Symbole der Spannung zwischen gesellschaftlichem Oben und Unten. Sowohl von Schatz als auch von Probst habe ich etwa je 2000 Arbeiten, was zusammen etwas mehr als ein Drittel meiner Sammlung ausmacht.

Es machte mir Spaß, vergleichsweise unbekannte Maler, die durch die politischen Ereignisse in und um Österreich unter die Räder kamen, bekannt zu machen und jene Wertschätzung für sie zu erreichen, die sie verdienen. Bei Schatz ist dies schon erreicht, bei anderen ist es auf dem besten Weg. Jedenfalls haben Kunstwerke der österreichischen Zwischenkriegszeit, was ihren materiellen Wert betrifft, die höchsten Zuwachsraten.

Aus: Academia 2/2001