Alfred Fried: Der vergessene Pazifist #
Der österreichische Friedensnobelpreisträger starb vor 100 Jahren. Erinnerung an einen unermüdlichen Kämpfer gegen Krieg und Gewalt.#
Von der Wiener Zeitung (3. Mai 2021) freundlicherweise zur Verfügung gestellt
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"Ein fürchterliches Weh erfüllt mich." Mit diesem Satz beginnt das Tagebuch, das der Pazifist Alfred Hermann Fried während des Ersten Weltkrieges geführt hat. Unermüdlich hatte er versucht, die Verständigung zwischen den Völkern zu fördern, den Krieg zu ächten und den Frieden zu sichern, doch nun lag sein Lebenswerk in Trümmern. Drei Jahre zuvor war er noch mit dem Friedensnobelpreis für seine Bemühungen belohnt worden, doch der Ausbruch des Krieges war ein Rückschlag, von dem sich Fried nie wieder erholen sollte. Hundert Jahre nach seinem Tod ist sein Name nur mehr wenigen Interessierten ein Begriff.
Alfred Hermann Fried wurde am 11. November des Jahres 1864 in Wien geboren und besuchte ein Gymnasium im zweiten Bezirk. Seine Leistungen ließen allerdings zu wünschen übrig, mit vierzehn brach er die Schule ab und wurde Lehrling bei einem Buchhändler. Die Lehre hatte einen großen Vorteil, denn durch sie hatte er Zugang zu Literatur und konnte sich auf eigene Faust weiterbilden. Der junge Fried ließ sich vom militaristischen Geist der Zeit mitreißen und schwärmte für Kriegsbücher, doch ein Ausstellungsbesuch sollte alles ändern. Als Siebzehnjähriger sah er die Bilder des russischen Malers Wassili Wereschtschagin, später sollte er in seinen Erinnerungen darüber schreiben: "Dieser Ausstellungsbesuch gab meinem Leben die entscheidende Richtung. Hier lernte ich den Krieg hassen. Ich war Pazifist geworden."
Gegen den Zeitgeist#
Nach dem Abschluss der Lehre ging Fried nach Berlin, wo er als Buchhändler arbeitete, zu schreiben begann und einen - wirtschaftlich nicht sehr erfolgreichen - Verlag gründete. In einem Kaffeehaus hatte er, damals 27 Jahre alt, sein zweites pazifistisches Erweckungserlebnis, als er nämlich in einer Zeitung auf einen Artikel über die Friedensaktivistin Bertha von Suttner stieß. "Wie eine Offenbarung kam es über mich. Zu diesem Menschen gehöre ich, rief es in mir, an ihrer Arbeit mitzuwirken ist meine Aufgabe. Noch am selben Tag schrieb ich Bertha von Suttner."
Dieser Brief war der Beginn einer engen und langen Zusammenarbeit. Bertha von Suttner hatte 1889 mit dem pazifistischen Roman "Die Waffen nieder!" einen großen Erfolg erzielt und war als Vorsitzende der "Österreichischen Gesellschaft der Friedensfreunde" bekannt geworden. Ihre Aktivitäten beschränkten sich zunächst auf das Organisieren von Diskussionen, aber Fried brachte eine neue Idee ein: Er regte die Gründung einer Zeitschrift an, um die Verbreitung der pazifistischen Idee zu fördern. Bald darauf war er Redakteur und Verleger der Monatsschrift "Die Waffen nieder!". Fried blieb vorerst noch in Berlin und wurde dort einer der Mitgründer der deutschen Friedensgesellschaft. Die Mitgliederzahlen stiegen, wenn auch in einem bescheidenen Rahmen, kontinuierlich an, die öffentliche Resonanz war aber bestenfalls zurückhaltend. Der Zeitgeist war aufseiten all jener, die den Krieg als unabdingbaren Teil der menschlichen Natur sahen, und so wurde der Pazifismus als Illusion und Träumerei abgetan.
Fried wurde für seinen Einsatz oft in einer sehr persönlichen Weise kritisiert, er bot seinen Gegnern viele Angriffsflächen: Das noch jugendliche Alter, die vergleichsweise geringe Schulbildung und die niedere gesellschaftliche Stellung machten ihn zu einer Zielscheibe des Spotts. Dazu kamen antisemitische Attacken, sodass sogar Kollegen aus der Friedensbewegung empfahlen, Fried solle zum Christentum konvertieren, um abschätzige Kommentare aus nationalistischen Kreisen zu verringern. Doch Fried ließ sich von all der Kritik nicht bremsen und setzte sich trotz aller Widerstände unbeirrt für den Pazifismus ein. Er nahm an zahlreichen Kongressen und Konferenzen zum Thema Frieden teil und gründete die heute noch bestehende Zeitschrift "Die Friedens-Warte". Nebenbei engagierte er sich noch in der Esperanto-Bewegung. Fried sah in dieser Plansprache eine Möglichkeit, die internationale Verständigung voranzutreiben, und beschränkte sich nicht nur darauf, die Sprache zu lernen, sondern verfasste sogar ein Lehrbuch.
1911 folgte die Belohnung für das langjährige Engagement: Gemeinsam mit dem Niederländer Tobias Asser bekam Fried den Friedensnobelpreis. Der Preis wurde zwischen den beiden geteilt, weil ihre Bestrebungen in die gleiche Richtung gingen, nämlich durch weltweite Organisationen Sicherheit zu schaffen und Kriege zu verhindern. Asser hatte sich für die Schaffung des Ständigen Schiedshofes eingesetzt, Fried in seinen Schriften immer wieder die Gründung einer Weltorganisation angeregt, die ein friedliches Zusammenleben der Völker ermöglichen sollte. Seiner Meinung nach sollten die Staaten Teile ihrer Souveränität aufgeben, um "eine viel größere Sicherheit, ein höheres Maß von Wohlstand und Gedeihen" zu ermöglichen.
Einen Schritt weiter#
Doch während heute ein Nobelpreis den Träger auf die Titelseiten aller österreichischen Zeitungen bringt, fiel das Medienecho damals zurückhaltender aus. Die Verleihung des Preises wurde zwar wohlwollend und als Anerkennung für Frieds langes Wirken gesehen, die kurzen Meldungen darüber versteckten sich aber tief im Inneren der Blätter.
Je mehr sich Fried in die pazifistische Bewegung einbrachte, umso mehr wuchs seine Unzufriedenheit mit ihr. Der Grund: Er warf seinen Kollegen vor, Kriege nur verzögern oder durch ein Regelwerk human gestalten zu wollen, aber das Übel der Gewalt in den internationalen Beziehungen nicht an der Wurzel zu packen. Fried wollte einen Schritt weiter gehen und durch eine möglichst enge internationale Zusammenarbeit alle Ursachen, die einen Konflikt zwischen Staaten verursachen könnten, aus dem Weg schaffen. Lange bevor der Begriff der Globalisierung populär wurde, diagnostizierte er: "Die Wirtschaft, die Wissenschaft und das Empfinden greifen über alle Grenzen hinweg ineinander ... Alle Staaten sind heute voneinander abhängig, aufeinander angewiesen. Ein abgesonderter Staat ist nicht mehr denkbar." Dazu passt auch, dass für Fried weder die Taube noch der Ölzweig Symbole für Frieden waren. Er bevorzugte das Bild eines Räderwerkes, um zu zeigen, dass in den internationalen Beziehungen alles verbunden war und die einzelnen Staaten wie Zahnräder ineinandergriffen.
Das schicksalhafte Jahr 1914 begann für Fried, der mittlerweile nach Wien zurückgekehrt war, mit viel Arbeit. Unermüdlich publizierte er und gemeinsam mit Bertha von Suttner bereitete er einen internationalen Friedenskongress vor, der im September in Wien stattfinden sollte. Innerhalb weniger Wochen veränderte sich sein Leben jedoch grundlegend. Am 21. Juni starb Suttner, Fried verlor mit ihr eine Freundin, Weggefährtin und (auch finanzielle) Unterstützerin. Er trat in mehrfacher Hinsicht ein großes Erbe an: Suttner hatte ihn zum Alleinerben ihres Vermögens bestellt, zugleich wurde Fried durch ihren Tod die Leitfigur der pazifistischen Bewegung in Österreich und musste ihre übergroßen Fußstapfen füllen. Wenige Tage später folgte ein weiterer schwerer Schlag, als nämlich in Sarajewo jene Schüsse fielen, die Erzherzog Franz Ferdinand den Tod brachten und schließlich den ganzen Kontinent ins Verderben reißen sollten.
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges war ein harter Schlag für Fried. In Wien, wo alle mit Begeisterung in den Krieg zogen, wurde es immer schwieriger für ihn, er wurde als Verräter angefeindet. Fried entschloss sich zur Emigration in die Schweiz. Als Hauptstadt eines neutralen Landes erschien ihm Bern am besten geeignet, um seinen Einsatz für den Frieden fortzusetzen. Er publizierte, korrespondierte mit Weggefährten in verschiedenen Ländern und führte ein Kriegstagebuch, in dem er seine Gedanken festhielt. In diesen Aufzeichnungen nahm er allerdings eine sehr ambivalente Haltung ein, einige Passagen wollen nicht zu seinem umfassenden Streben nach Frieden passen. Fried beklagte etwa den Ausbruch des Krieges, stellte sich aber eindeutig auf die Seite der Mittelmächte.
Den Krieg zwischen den westeuropäischen Nationen bedauerte er, aber wenn es um den Kampf gegen andere Völker ging, war er nachsichtig. Den Angriff auf Serbien betrachtete er als "Züchtigung", und er machte einen Vorschlag, von dem er wusste, dass er nicht umgesetzt werden konnte: Deutschland solle Elsass und Lothringen an Frankreich zurückgeben, sich mit den Westmächten verständigen und "die europäische Kulturwelt vereint gegen Russland führen".
Im Dienst einer Idee#
1918 ging der Krieg zu Ende, aber Fried war mit den folgenden Friedensschlüssen alles andere als zufrieden. In seinen Augen waren sie einseitig und beendeten lediglich die Kampfhandlungen, ohne eine stabile Grundlage für die internationalen Beziehungen zu sein. Er erkannte auch die Schwäche des neu gegründeten Völkerbundes, weil dessen Kompetenzen nicht ausreichten, um Entscheidungen effizient durchzusetzen.
Für Fried selbst hatte das Ende des Krieges die Folge, dass er die Schweiz verlassen musste. Im Herbst 1920 kehrte er in seine Heimatstadt Wien zurück, konnte hier aber nicht mehr Fuß fassen. Wegen einer Lungenkrankheit verbrachte er vier Monate in einem Spital, am 4. Mai 1921 starb er. In einem Nachruf hieß es: "Er gehörte zu jenen, in unserer Zeit selten gewordenen Menschen, die ihr ganzes Sein, ihre ganze Persönlichkeit in den Dienst einer Idee stellen, die unter Entbehrungen und Opfern für ihr Ideal eintreten."
Doch was blieb von ihm? Fried stand stets im Schatten seiner Mentorin Bertha von Suttner und ist heute einer der von der Öffentlichkeit vergessenen Nobelpreisträger. In Wien erinnern eine Gasse in Floridsdorf und eine Gedenktafel an seinem ehemaligen Wohnhaus in der Widerhofgasse im neunten Bezirk an ihn. Seit dem Jahr 2013 wird jedoch versucht, Fried in einem künstlerischen Kontext zu würdigen: Für den "Global Peace Photo Award"("Inspired by 1911 Nobel Peace Prize Laureates Alfred Fried and Tobias Asser") vergibt eine in Wien ansässige internationale Jury jährlich Preise für die besten Fotos, die das Thema Frieden in allen Facetten zum Inhalt haben.
Christian Hütterer, geboren 1974, Studium der Politikwissenschaft und Geschichte in Wien und Birmingham, schreibt Kulturporträts und Reportagen.