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„Franz Kafka beehrt sich anzuzeigen…“ #

Zwei Wochen lang studierte Franz Kafka Chemie, das Jusstudium absolvierte er in sieben Semestern. Am 18. Juni 1906 wurde er in Prag zum Doktor der Rechte promoviert. In den Werken des späteren Schriftstellers wird das Studium seine Spuren hinterlassen.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 23. Juni 2016).

Von

Janko Ferk


Franz Kafka
Franz Kafka. „Ich studierte also Jus. Das bedeutete, dass ich mich in den paar Monaten vor den Prüfungen unter reichlicher Mitnahme der Nerven geistig förmlich von Holzmehl nährte, das mir überdies schon von tausend Mäulern vorgekaut war.“
Aus: Wikicommons, unter PD

Als unabdingbarer Bestandteil der Rettung des Abendlands war und ist die Matura als Initiationsritus für die Aufnahme unter die – bereits vom Leben geprüften – Erwachsenen vorgesehen. Waren um die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert leicht übertriebene Geschenke wie Cabrios noch nicht vorgesehen, so blieb man doch gewissermaßen im Bereich der Mobilität. Die geschenkte Matura-Reise führt Franz Kafka erstmals über die Grenzen des Königreichs Böhmen. Sein Begleiter ist Onkel Siegfried Löwy, der „Landarzt“, sie reisen im August 1901 nach Norderney und Helgoland.

Der knapp Achtzehnjährige war der jüngste von vierundzwanzig Maturanten seines Jahrgangs. Die schriftliche Reifeprüfung legte er in den Hauptfächern alte Sprachen, Deutsch und Mathematik ab, die mündliche konzentrierte sich auf Übersetzungen aus dem Lateinischen und Griechischen. Franz K. wäre nicht Franz K., wenn er die Prüfungen nicht wie einen drohenden Gerichtstag erwartet hätte, an dem sich sein Schicksal entscheiden sollte.

Das Maturazeugnis zeigt einen leicht überdurchschnittlichen Schüler, der in keiner Disziplin nennenswerte Stärken oder Schwächen aufwies. Sechs „lobenswerte“ und sechs „befriedigende“ Leistungen sagen in ihrer numerischen Sprödigkeit zwar nicht allzu viel aus, attestieren aber einen nicht besonders schlechten Reifeprüfling.

Den Militärdienst muss er nicht antreten, weil ihm ein ärztliches Zeugnis eine „Schwäche“ bescheinigt, die ihn zum Dienen unfähig macht. Dem Studienbeginn stehen also weder Drill noch Drillich entgegen. Bei der Auswahl des Studiums scheint er unschlüssig gewesen zu sein. Der Staatsdienst war für Juden mit wenigen Ausnahmen unzugänglich und für Akademiker kamen nur freie Berufe in Frage.

Prager Universität #

Chemie war zu Beginn des vorigen Jahrhunderts eine besonders ungewöhnliche Wahl. Der Leiter des Chemischen Instituts, Guido Goldschmidt, war getaufter Jude und ein exemplarisches Beispiel für die Zwänge, denen jüdische Hochschulkarrieren unterworfen waren. Mehr als Privatdozent oder höchstens Extraordinarius war nicht zu schaffen. Im Oktober 1901 schreibt sich Kafka für das Chemiestudium an der k. k. Deutschen Karls Ferdinands-Universität in Prag ein und studiert diese Wissenschaft genau zwei Wochen.

Die Prager Juden entschieden sich in der Mehrheit für die deutsche Universität, wobei nicht die Muttersprache entscheidend war, sondern das – dieser Hochschule zugeschriebene – Bildungspotential. Der Einfl uss des Deutschsprachigen verlor zusehends an Bedeutung. Leo Hermann, der Obmann des zionistischen Vereins „Bar- Kochba“, schrieb im Jahr 1909 an Martin Buber: „Nur die Juden glauben noch, das Deutschtum verteidigen zu müssen.“ Der Briefschreiber konnte nicht wissen, dass in seiner Nähe einer der größten deutschsprachigen Dichter heranreifte.

Die Universität, an der Kafka (aus)gebildet wurde, konnte rund um seine Zeit mit einigen Kalibern aufwarten. Die Physiker Ernst Mach und Albert Einstein lehrten. Der Völkerrechtler Heinrich Rauchberg und der Rechtsgeschichtler Heinrich Singer stehen für die Qualität des damaligen „Juridicums“.

Natürlich könnte man weitere klingende Namen aufzählen, beispielsweise Alfred Weber, Kafkas Promotor bei der Promotionsfeier. Innerhalb der Universität bildeten die Juristen die zahlenmäßig stärk ste Fakultät. Mehr als die Hälfte der jüdischen Studenten inskribierte Recht, weil sie nach dem Abschluss freiberufl ich als Advokaten und Notare tätig werden konnten.

Das Jusstudium war für Franz Kafka nicht das reizvollste, obwohl er es letztlich nach nur sieben Semestern absolvierte. Im Nachhinein schreibt er im Jahr 1919 darüber: „Ich studierte also Jus. Das bedeutete, dass ich mich in den paar Monaten vor den Prüfungen unter reichlicher Mitnahme der Nerven geistig förmlich von Holzmehl nährte, das mir überdies schon von tausend Mäulern vorgekaut war.“

Am 18. Juli 1903 besteht Franz Kafka nach „drei verträumten Semestern“ die erste Staatsprüfung aus den rechtshistorischen Fächern mit „gutem Erfolg“. Am 7. November 1905 macht er das sogenannte Rigorosum II aus Zivil-, Handels- und Wechselrecht, Zivilprozess und Strafrecht, und besteht es mit „genügendem“ Erfolg. Das Rigorosum III aus Allgemeinem und Österreichischem Staatsrecht, Völkerrecht und politischer Ökonomie legte er am 13. März 1906 ebenso mit der Note „Genügend“ ab. Das abschließende Rigorosum I aus Römischem, Kanonischem und Deutschem Recht fand am 13. Juni 1906 statt. Auch bei diesem erreicht er nicht mehr als seine offensichtlich abonnierte Beurteilung. Am 18. Juni 1906 wird Franz Kafka zum Doktor der Rechte promoviert.

Untersuchungsrichter #

Für den Studenten Franz Kafka wurde der Strafrechtler Hans Groß zu einem seiner wichtigsten Lehrer. Groß hat für seine Zeit einen progressiven Grundsatz entwickelt: „Nicht das Verbrechen, sondern der Verbrecher ist der Gegenstand der Strafe, und deswegen ist nicht das Gesetz allein, sondern das Leben der Gegenstand der Lehre.“ Groß war der Begründer der modernen Kriminologie als Wissenschaft. Sein „Handbuch für Untersuchungsrichter“, das im Jahr 1893 erstmals erschien, wurde in zahlreiche Weltsprachen übersetzt und erreichte mehrere Auflagen. Als Groß im Jahr 1915 starb, war das „Handbuch“ in fünfundfünfzig Sprachen übersetzt.

Unstrittig hat Groß Kafka bei der Beschreibung des (Untersuchungs-) Richters angeregt. Josef Maria Häußling meint sogar, dass der Untersuchungsrichter im „Prozeß“ der „Verfahrensdreh- und -angelpunkt“ ist.

Der Abschluss des Prüfungsverfahrens am 13. Juni 1906 ist, um es im Jargon der beruflichen Profession Kafkas zu sagen, de iure zugleich die Promotion zum Doktor der Rechte. Nach der akademischen Feier am 18. Juni 1906 veröffentlicht der Jurist eine Annonce, um seinen Status offiziell zu machen: „Franz Kafka beehrt sich anzuzeigen, daß er am Montag, den 18. Juni d. J. an der k. k. Deutschen Karl Ferdinands-Universität in Prag zum Doktor der Rechte promoviert wurde.“ Fortan war Kafka beim Begrüßen auf der Straße, im Büro und in brieflichen Anreden nach bester österreichischer Gepflogenheit der „Herr Doktor“, meist unterschrieb er auch mit der Abkürzung dieses Namensbestandteils.

Nach der Promotion stellte er unter Beweis, dass man mit einem Doctor iuris alles in der Welt werden kann: zunächst Rechtsanwaltsanwärter, dann Versicherungsjurist und schließlich Franz Kafka.

Der Autor ist promovierter Rechtsphilosoph, Schriftsteller und Literaturwissenschaftler.

DIE FURCHE, Donnerstag, 23. Juni 2016


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