Streiten für Karl Kraus#
Neue Erkenntnisse über Oskar Samek, den Freund und Rechtsvertreter des "Fackel"- Herausgebers, für den er hunderte Prozesse führte.#
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung, 16. März 2019
Von
Gerhard Strejcek
Im Sommer 1957 gab der in die USA emigrierte Rechtsanwalt Oskar Samek (1889-1959) in New York ein Interview für österreichische Journalisten, in dem es um seinen berühmtesten Wiener Klienten ging: Karl Kraus. Der "Fackel"-Herausgeber hatte sich unter anderen mit Alfred Kerr, Anton Kuh, Felix Salten, Johann Schober und Theodor Wolff vor Gericht gemessen, wobei ihn in der Ersten Republik meist Dr. Samek vertrat.
Nicht jeder Rechtsstreit weist juristische Substanz auf, mitunter reizte Kraus die Möglichkeiten aus, welche das damals neue "Preßgesetz", ein Vorläufer des Mediengesetzes, und das alte, noch aus k.u.k. Zeiten stammende Strafgesetz enthielten, um vor Gericht Berichtigungen durchzusetzen oder Beleidigungen zu ahnden. Ihm ging es meist "um’s Prinzip", wobei er auch befreundete Medien nicht schonte, verfeindete wie "Die Reichspost" oder "Die Stunde" aber regelrecht verfolgte. Aus heutiger Sicht erstaunt die Geduld, welche die Richter aufbrachten, wenn es um marginale Korrekturen von Parteien ging, die mit Tinte und Feder aufeinander losgingen.
Erste "fake news"#
In den Jahren 1922-36 wurde so manches Urteil zugunsten des "Fackel"-Autors gefällt, der Pönalzahlungen ebenso wie Vorlesungseinnahmen für gemeinnützige Zwecke, meist für die "Kinderfreunde", spendete. Die heutige Praxis, im Fall des Obsiegens in Medienprozessen das lukrierte Geld zu spenden, hat demnach bereits Tradition, wie im Übrigen auch das "Hass-Posten", das Jahrzehnte vor Erfindung des Internet in Form von Briefen über den Publizisten Kraus hereinbrach. Nachdem Kraus mit einem erfundenen Erdbebenbericht, den er der "Neuen Freien Presse" im Jahr 1908 unterjubelte, als Erfinder der fake news anzusehen ist, könnte man demnach sagen: "Alles schon dagewesen!"
Über Sameks Wirken und die Kraus-Prozesse gibt es einige lesenswerte Studien, beginnend mit Hermann Böhms Veröffentlichung "Karl Kraus contra (. . .)" aus 1995 und vorläufig endend mit Brigitte Stockers Beitrag im begleitenden Band zur noch (bis 29. März) laufenden Kraus-Ausstellung im Wiener Rathaus. Dank dem Kraus-Archiv in der Wien-Bibliothek und dem analytischen Beitrag in dem von Katharina Prager editierten Kraus-Sammelband sowie einer vorbildlichen Online-Dokumentation (mit einem Artikel über Karl Kraus "als Rechtsperson") wissen wir einiges über Ablauf und Details der Rechtsstreitigkeiten.
Vom Herbst 1922 bis zum Tod des Autors im November 1936 hatte Samek hunderte Prozesse für seinen Mandanten geführt und die Schriftsätze sowie Urteile in blassroten Mappen gesammelt, die mit riesigen Lettern handschriftlich bezeichnet waren. Der Anwalt stellte sich auch, wie aus einer anderen Quelle hervorgeht, zeitweise als Geschäftsführer für den "Fackel"-Verlag in der Hinteren Zollamtsstraße zur Verfügung, ließ aber Kraus ansonsten geschäftlich (und publizistisch ohnehin) freie Hand.
Nach heftigen Kämpfen um die Verlagsrechte des berühmten roten Periodikums, das in unregelmäßiger Folge ab 1899 erschien, ordnete Kraus die Verhältnisse und leistete der Aufforderung des Handelsgerichts nach einem Registereintrag Folge. Er vertraute seinem bewährten Drucker Georg Jahoda und der Verlagsbuchhandlung Lányi auf der Kärntner Straße. Gesammelte Schriften des streitbaren Autors erschienen bei Kurt Wolff in Leipzig, der dem singulären Autor zuliebe den "Verlag der Schriften von Karl Kraus" gegründet hatte. 1919 brachte Wolff die Sammlung von Kraus’ Kriegsaufsätzen unter dem Titel "Das Weltgericht" in zwei Bänden sowie einen Aphorismenband heraus. Das erste Buch des - dank Projekt Gutenberg - digital lesbaren "Weltgerichts" beginnt mit dem legendären Text "In dieser großen Zeit" aus 1914, der zweite enthält "Fackel"-Texte und Kraus-Prosa bis zum Kriegsende 1918.
Streit mit Gönnerin#
Durchschlagenden Erfolg hatte ab 1920 Kraus’ Drama "Die letzten Tage der Menschheit", dessen Epilog er bereits 1917 auf einer Reise mit der Adeligen Sidonie Nadherná von Borutin (mitunter auch Nadherný geschrieben) in den Schweizer Kanton Glarus verfasst hatte. Als ich vor zwanzig Jahren auf den Spuren des Autors in das Hotel Thierfehd am Tödi reiste, in dem Kraus und seine Begleiterin auf ihrer Automobilfahrt einst abgestiegen waren, zeigte mir die Glarner Wirtin stolz den Gästebucheintrag der beiden. Er sollte auch heute noch in dem zur Gemeinde Linthal gehörenden holzvertäfelten Bau unweit des idyllischen Talschlusses zu finden sein, wo man um die Bedeutung des "Fackel"-Herausgebers weiß. ("Thierfehd" umschrieb übrigens die Grenze zu einem uralten Jagdgebiet, wie schon der Name sagt.)
Leider zerstritt sich Kraus, der die Schweizer Idylle genossen hatte, mit seiner Gönnerin, die nach einigen Erlebnissen mit dem "On-off-Partner" postum versuchte, seinem Werk zu dienen und zu diesem Zweck mit Dr. Samek in New York Kontakt aufnahm. Ihre Initiative blieb aber ohne Erfolg, denn in den Fünfzigerjahren hatten bereits der literarische Nachlassverwalter Heinrich Fischer und die Kraus-Bekannte Helene Kann die allmählich wieder brennende "Fackel" in die Hand genommen, während der vom Autor zum Testamentsvollstrecker berufene Anwalt missmutig aus der Ferne zusah und ein Buch über seine Prozesse plante, das er nie vollendete.
Dass sich Samek als Hüter des Kraus’schen Erbes berufen fühlte, zeigt seine Initiative im Winter 1936, als er nach dem Tod des Autors dessen Arbeitszimmer in der Lothringerstraße ab- und detailgenau in seinem Haus in der Rudolfsheimer Reindorfgasse in einer ehemaligen Tischlerei im Hof als Privatmuseum wieder aufbaute. Die Kraus-Bibliothek ging anlässlich seiner erzwungenen Emigration im Oktober 1938 verloren, SA-Angehörige drangen in die Wohnräume ein und stapelten die Bücher im Hauseingang zur freien Entnahme, wie Dietmar Grieser berichtet.
Über Sameks Biografie und seine Lebensverhältnisse in Wien ist wenig bekannt. Der einstige Kraus-Archivar Paul Schick verschweigt den Anwalt in der ansonsten informativen Rowohlt-Monografie über den Autor. Hans Weigel, der sich 1986 mit dem Band "Karl Kraus oder Die Macht der Ohnmacht" verdient machte, erwähnt Details, wie die Aufgabe des Anwalts als Testamentsvollstrecker. Aufschluss über Sameks geschäftliche Aktivität im "Fackel"-Verlag und das kleine Museum bringt ein Absatz in der Onlinedarstellung von kraus.net. Schließlich findet sich in dem verdienstvollen Band von Barbara Sauer und Ilse Reiter-Zatloukal über die "Advocaten 1938" ein kurzer Eintrag über die Kanzlei- und Lebensdaten Sameks.
In Wien-Sechshaus#
Nach und nach konnte ich einige familiäre Umstände rekonstruieren, die für mich zudem persönliche Erinnerungen wachriefen, lebte Samek doch nur fünf Minuten entfernt von der Adresse meiner Vorfahren im Wiener Viertel Sechshaus, wo er in der Papierhandlung einer gewissen Marie Strejcek seinen Schreibbedarf deckte. Aus Parten und Einträgen im "Lehmann" geht hervor, dass Sameks Vater Jonas Markus hieß und einen Möbel- und Wäschehandel betrieb. Das Haus in der Reindorfgasse 18 hat ausreichend hohe Portale, um dies glaubhaft wirken zu lassen.
Der aus Trnva in der heutigen slowakischen Republik zugewanderte Vater war ein gläubiger Jude, worauf seine Tätigkeit in der Sterbekasse und im Begräbnisverein "Chewra Kadisha für die Bezirke XIIXV" schließen lässt. Dass Jonas M. Samek beide Töchter (Hilda und Irma) frühzeitig verlor, eine durch Unfall und eine durch Krankheit, und dass seine Gattin vor ihm verstarb, lässt sich ebenfalls belegen und spricht für eine familiäre Tragödie.
Als "Hiob" Samek selbst im Jahr 1934 das Zeitliche segnete und nach jüdischem Brauch binnen zwei Tagen beerdigt wurde, leistete der von ihm zeitweise präsidierte Verein gute Dienste. Laut den Forschungen zum "Turnertempel", der für das Sechshauser Viertel zuständig war und bis 1911 eine eigene Kultusgemeinde beherbergte, verfügte der 1938 zwangsweise aufgelöste Verein über einen eigenen Bestattungswagen und die notwendigen rituellen Gegenstände. Nach dem Tod des Vaters übersiedelte Oskar Samek mit seiner Kanzlei in das elterliche Wohnhaus, wo auch er zeit seines Wien-Aufenthalts gemeldet war, und nutzte den freien Platz für das schon erwähnte Kraus-Museum.
Späte Heirat#
Samek war verheiratet, wobei der genaue Hochzeitstermin unklar ist. Von Interesse erscheint, dass seine Gattin Ilonka (ungarisch Ilona, geborene Kux) wie sein Vater aus einer slowakischen Stadt stammte. Sie hatte bereits eine Familie im Sechshauser Viertel gegründet, aus der eine Tochter namens Eva hervorgegangen war. Frau Ilona war um 1909 noch mit Herrn Oskar Seiler verheiratet, woraus geschlossen werden darf, dass Samek eher ein "Spätstarter" war, vermutlich weil er als junger Anwalt in den Akten unterging...
Im verhängnisvollen Jahr der NS-Machtübernahme in Österreich (1938) flüchteten alle Beteiligten, wobei Oskar Seiler via Niederlande nach Brasilien ausreiste, während die Sameks via Schweiz und Schweden nach New York emigrierten, wo sich wieder die Wege mit der Tochter aus erster Ehe kreuzten. Aus welchen Gründen immer die brasilianischen Visa erhalten blieben, ist unbekannt, aber sie zeigen, dass die zwischenzeitig mit einem Herrn Monschein verehelichte, in Wien geborene Eva Seiler ihren leiblichen Vater 1944 in Brasilien besuchen wollte, wozu ein Visum erforderlich war. Der immer noch fließendes Burgtheaterdeutsch sprechende Stiefvater Oskar Samek half ihr dabei, so wie er Karl Kraus zeit seines Lebens loyal unterstützt hatte.
Hinweise:#
- Brigitte Stocker: Die Rechtsakten des Karl Kraus, in: Katharina Prager (Hg.in): Geist versus Zeitgeist. Karl Kraus in der Ersten Republik. Metro 2018, 279 Seiten, 27,80 Euro.
Gerhard Strejcek, geboren 1963 in Wien, ist Außerordentlicher Universitätsprofessor am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.