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Bei den steirischen Blutsaugern #

Nicht Transsylvanien, sondern die Steiermark ist der Schauplatz eines Klassikers der Schauerliteratur.#


Von der Wiener Zeitung (3. April 2022) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Christian Hütterer


Die Vampirin will sich an ihrem schlafenden Opfer vergreifen...
Die Vampirin will sich an ihrem schlafenden Opfer vergreifen...
Foto: David Henry Friston. Aus: Wikicommons, unter PD

"In Styria" - mit diesen Worten beginnt die Novelle "Carmilla" des irischen Autors Joseph Sheridan Le Fanu. 1872 erschien diese Geschichte zum ersten Mal und bis heute gilt sie als wegweisend für das Genre der Horrorliteratur. "Carmilla" geriet im Lauf der Jahre zwar in Vergessenheit, war aber Inspiration für Bram Stokers berühmte Erzählung vom blutsaugenden Grafen Dracula und legte damit den Grundstein für diesen weltweiten Erfolg. Doch warum spielt die Geschichte von Carmilla gerade in der Steiermark? Und worum geht es darin eigentlich?

Die Handlung der Erzählung ist verschachtelt: Ein verwitweter Engländer, der in österreichischen Diensten stand, lebt mit seiner Tochter Laura auf einem abgelegenen Schloss in der Steiermark. Als Laura sechs Jahre alt war, träumte sie von einem rätselhaften Wesen, das sich in ihr Schlafzimmer einschlich und sie mit spitzen Zähnen in die Brust biss. Durch einen Zufall landet zwölf Jahre später ein Mädchen mit Namen Carmilla auf dem Schloss. Laura freut sich über die Unterbrechung ihres eintönigen Lebens, freundet sich rasch mit dem neuen Gast an und gerät bald in einen Strudel der Gefühle, bis es schließlich zu Liebeserklärungen, Küssen und zärtlichen Berührungen zwischen den beiden jungen Frauen kommt.

Unter vielen Namen#

Zur gleichen Zeit häufen sich aber merkwürdige Vorkommnisse: Carmilla wird frühmorgens bei einem Spaziergang durch den Schlosspark gesehen; zu dieser Zeit ist aber ihre Zimmertür von innen abgeschlossen. Ein Gemälde taucht auf, auf dem eine schon vor Jahrhunderten verstorbenen Vorfahrin von Laura dargestellt ist, die Mircalla - ein Anagramm von Carmilla - hieß und der rätselhaften Carmilla wie ein Spiegelbild ähnelt.

Schließlich lässt ein Albtraum Lauras Böses erahnen: Eine übergroße Katze beißt sie mit spitzen Zähnen in die Brust, verwandelt sich danach in eine Frau und verschwindet durch das geschlossene Fenster. Noch erschreckender ist, dass in den Ortschaften rund um das Schloss eine mysteriöse Krankheit umgeht, der nur junge Frauen zum Opfer fallen. Sie alle leiden an diffusen Symptomen wie Kraftlosigkeit und Schwindel und sterben schon nach wenigen Tagen.

Eines Tages unternimmt Laura mit ihrem Vater einen Ausflug, dabei treffen sie einen in der Nähe lebenden General, dessen Nichte kurz zuvor an der rätselhaften Seuche gestorben ist. Erschreckende Parallelen tun sich auf: Knapp vor ihrem Tod war ein Mädchen namens Millarca - schon wieder ein Anagramm von Carmilla! - auf das Schloss des Grafen gekommen. Die Nichte freundete sich mit dieser Millarca an, erkrankte aber nach wenigen Tagen schwer. Ein herbeigerufener Arzt stellte eine ungewöhnliche Diagnose: Seiner Meinung nach wurde das Mädchen Opfer eines Vampirs. Der General wacht am Bett seiner Nichte, kann aber nicht verhindern, dass der Vampir wiederkommt und das Mädchen stirbt.

Der General, Laura und ihr Vater suchen nun nach dem Grab der längst verstorbenen Mircalla - jener Vorfahrin Lauras, deren Gemälde Carmilla so verdächtig ähnelt. Die drei öffnen das Grab, finden den jahrhundertealten Leichnam unversehrt und in Blut schwimmend. Dann tun sie das, was in solchen Lebenslagen getan werden muss: Sie treiben der Leiche einen Pflock durchs Herz, schneiden ihr den Kopf ab und verbrennen schließlich Rumpf und Kopf. Die bluttriefende Aktion ist erfolgreich - und die Steiermark seitdem von einem bösartigen Vampir befreit.

Wer ist Lauras nächtliche Besucherin? Illustration zu 'Carmilla' von David Henry Friston.
Wer ist Lauras nächtliche Besucherin? Illustration zu "Carmilla" von David Henry Friston.
Foto: David Henry Friston, fl. 1850s to late 1880s. Aus: Wikicommons, unter PD

So weit, so gut. Aber wer war dieser Sheridan Le Fanu, der die Geschichte von der geheimnisvollen Carmilla/Millarca/Mircalla erfand? Und wie kam der Ire darauf, die Erzählung in der Steiermark anzusiedeln?

Zuerst zur Biografie von Joseph Sheridan Le Fanu. Er wurde 1814 in Dublin als Sohn einer gutbürgerlichen Familie geboren. Seine Großmutter und Mutter waren als Schriftstellerinnen bekannt, sein Vater war ein hochrangiger Würdenträger der anglikanischen Kirche in Irland. Er selbst studierte Jus, schaffte zwar die Prüfung zum Rechtsanwalt, übte diesen Beruf aber nie aus, weil er mit dem Schreiben seinen Lebensunterhalt verdienen wollte.

Am Literaturmarkt#

1858 starb nach vierzehn Jahren Ehe seine Frau unter ungeklärten Umständen. Le Fanu fühlte sich schuldig, erholte sich nur schwer von diesem Schlag und konnte deswegen lange nicht schreiben. Erst drei Jahre später publizierte er wieder, kaufte eine Zeitschrift namens "Dublin University Magazine" und wurde - um Kosten zu sparen - selbst sein wichtigster Autor. Von da an veröffentlichte er jedes Jahr einen Roman und dazu zahlreiche Erzählungen, die er in seinem eigenen Magazin veröffentlichte. Sie hatten eines gemeinsam: Es handelte sich um historische Stoffe aus der irischen Geschichte.

Dies änderte sich 1863. Ein englischer Verleger riet Le Fanu nämlich, seine Geschichten in der Gegenwart und in England anzusiedeln, um für das englische Publikum interessanter zu werden. Le Fanu, der nicht nur aus künstlerischen Gründen schreiben, sondern auch gut verdienen wollte, griff diesen Vorschlag auf und hatte Erfolg. Er veröffentlichte sein wohl bekanntestes Buch, den Mystery-Roman "Uncle Silas", der im viktorianischen Derbyshire angesiedelt ist. Die für Le Fanu so wichtigen wirtschaftlichen Aspekte des Schreibens zeigten sich auch hier: Der Roman erschien zuerst als Serie in seinem eigenen "Dublin University Magazine" und im Dezember 1864, also rechtzeitig für das Weihnachtsgeschäft, als gebundenes Buch.

Doch schon bald kehrte er zu seinem liebsten Thema zurück und schrieb wieder Schauergeschichten über unerklärliche Phänomene, denen meist irische Sagen oder folkloristische Erzählungen zugrundelagen. 1872 veröffentlichte er "In a Glass Darkly", eine Sammlung von Kurzgeschichten und Novellen, in der auch "Carmilla" zum ersten Mal erschien und mit der er die Grundlagen für das Genre der Vampirliteratur schuf. Nur ein Jahr später starb Le Fanu im Alter von 59 Jahren.

Doch wie kam er auf die Idee, die Geschichte der Vampirin gerade in der Steiermark anzusiedeln? Im englischen Sprachraum galten vor allem Ungarn, Polen, Schlesien, Böhmen und Mähren als jene Gegenden, in denen die Bevölkerung an Vampire glaubte. Erst später wurden die Länder des Balkan als jene Regionen beschrieben, in denen die Blutsauger angeblich ihr Unwesen trieben.

Es gibt jedenfalls keine historischen Zeugnisse, dass der Glaube an Vampire in der Steiermark zu jener Zeit weit verbreitet war, auch wenn es dort wohl andere Formen des Aberglaubens gab. So beschrieb noch kurz nach dem Ersten Weltkrieg ein steirischer Priester die Angst vor dem sogenannten Nachsterben, also davor, dass ein Todesfall weitere nach sich ziehen könne. Trotzdem: Der Glaube an Vampire war in der Steiermark nicht bekannt.

Es mag einen weit banaleren Grund geben, warum Le Fanu seine Erzählung in Österreich ansiedelte. 1836 hatte der britische Forschungsreisende Basil Hall das Buch "Schloss Hainfeld, oder: Ein Winter in Steiermark" veröffentlicht. Halls Vater war mit einer Frau bekannt gewesen, die seit ihrer Heirat mit einem österreichischen Adeligen als Johanna Anna Gräfin von Purgstall eben auf Schloss Hainfeld in der Südoststeiermark lebte. Vierzig Jahre nach ihrem Abschied kontaktierte die Gräfin den Sohn ihres Jugendfreundes und lud ihn auf ihr Schloss im Tal der Raab ein.

'Carmilla'-Autor Sheridan Le Fanu (1814-1873).
"Carmilla"-Autor Sheridan Le Fanu (1814-1873).
Foto: Name. Aus: Wikicommons, unter PD

Hall reiste also in die Steiermark und wollte nach einigen Wochen auf dem Purgstall’schen Familiensitz schon weiterziehen, aber die verwitwete Gräfin empfand in der ihr fremd gebliebenen Steiermark eine - wie Hall schrieb - "trübselige Art von Einsamkeit" und bettelte ihn regelrecht an, bei ihr zu bleiben. Hall ließ sich überzeugen, verlängerte seinen Aufenthalt über den Winter und reiste erst nach dem Tod von Gräfin Purgstall im März 1835 ab.

Hall schrieb ein noch heute lesenswertes Buch über die Monate bei der Gräfin und beschreibt darin ein "so entlegenes Land, von dem wir (außer geographische Schulerinnerungen) nichts wussten". Das Buch wurde nach seinem Erscheinen im "Dublin University Magazine" beworben und auch wenn die Zeitschrift damals noch nicht Le Fanu gehörte, ist es leicht möglich, dass er auf diesem Weg zum ersten Mal von der Steiermark las. Für diese Annahme spricht auch, dass viele Familien- oder Ortsnamen, die Hall erwähnte, in leicht abgeänderter Form in der Erzählung von Carmilla genannt wurden.

Le Fanu setzte mit dem Schauplatz Steiermark jedenfalls Standards. 1894 schrieb der englisch-schwedische Autor Eric Stenbock "Die wahre Geschichte von einem Vampir". Das Buch beginnt mit den nicht sehr schmeichelhaften Worten: "Vampirgeschichten spielen üblicherweise in der Steiermark, meine auch. Die Steiermark ist keineswegs jener romantische Ort, als der sie von jenen, die noch nie dort waren, beschrieben wird. Sie ist ein flaches, uninteressantes Land, nur bekannt für seine Truthähne, Kapaune und die Einfalt ihrer Bewohner."

Ikonischer Landstrich#

Bei diesen abwertenden Worten ist es wohl ein Glück für die Steiermark, dass nicht Stenbocks Buch, sondern das eines anderen Autors zum berühmtesten Vampirroman der Literaturgeschichte und schließlich ein Teil der weltweiten Populärkultur wurde. 25 Jahre nach "Carmilla" verfasste der ebenfalls aus Dublin stammende Bram Stoker die Geschichte über den Grafen Dracula. In den ersten Entwürfen siedelte Stoker die Handlung noch in der Steiermark an. Die erhalten gebliebenen Notizen für das Hauptwerk zeigen aber, dass an mehreren Stellen das Wort "Styria" durch "Transsylvania" ersetzt wurde.

Warum Stoker seinen Vampir weiter in den Osten übersiedeln ließ, ist unklar; vielleicht lag es auch daran, dass sein Bruder längere Zeit als Militärarzt auf dem Balkan tätig war und Stoker die Region daher vertraut war. So wurde schließlich das heutige Rumänien zur Heimat der Vampire und zum Ziel zahlreicher Besucher, die sich auf die Spuren von Dracula und Co. machen. Die Angst vor den unheimlichen Wesen ist verflogen, sie wirken aber heute als Magnet für Touristen, und so hat es eben auch seine Vorteile, wenn Vampire ihr Unwesen treiben.

Christian Hütterer, geboren 1974, Studium von Politikwissenschaft und Geschichte in Wien und Birmingham, schreibt Kulturporträts und Reportagen.

Wiener Zeitung, 3. April 2022

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