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unbekannter Gast

Der Zündfunke zur Revolution#

Johannes Gutenberg, Entwickler des Buchdrucks, starb vor 550 Jahren. Die Folgen seiner Erfindung halten noch heute an.#


Mit freundlicher Genehmigung der Wiener Zeitung, 31. Jänner 2018

Von

Bernhard Baumgartner


ASCII-Bild von Gutenberg
Wie Gutenberg aussah, ist unbekannt. Vielleicht so wie auf diesem ASCII-Bild.
Foto: WZ-Illustration

Es ist wohl eine besondere Ironie der Geschichte. Ausgerechnet von Johannes Gensfleisch, genannt Gutenberg, ist heute so gut wie nichts mehr bekannt. Der gebürtige Mainzer, der als der Erfinder des Buchdrucks als einer der großen Visionäre der Menschheitsgeschichte gilt und an der Wiege der Renaissance stand, ist als Person im wahrsten Sinne des Wortes ein unbedrucktes Blatt. Sein Geburtsdatum ist unbekannt, wo er seine Jugend verbrachte weiß man nicht. Und überhaupt sind weite Teile seines Lebens nur durch Schuldscheine und Gerichtsprotokolle belegbar. Und ein Bild gibt es schon gar nicht. Das Bild, das von ihm kursiert, wurde 200 Jahre nach seinem Tod angefertigt - eine frei erfundene Fantasie. Hätte Gutenberg das gewusst, vielleicht hätte er in einer stillen Stunde ein paar lose Blätter über sein Leben gedruckt. Dann müsste der wohlverdiente Platz in den Geschichtsbüchern heute nicht mit Spekulationen und Halbwissen gefüllt werden.

Lediglich der Todestag ist bekannt - und das mehr oder weniger durch Zufall. Ein Unbekannter notierte ihn auf einem zeitgenössischen Gutenberg-Druck. Es war der 3. Februar 1468, als der große Visionär nur wenige hundert Meter von seinem Geburtshaus in Mainz starb. Beerdigt wurde Gutenberg, wie aus einem Nachruf eines Verwandten hervorgeht, in der Mainzer Franziskanerkirche. Diese wurde im 18. Jahrhundert abgerissen: Nicht einmal sein Grab ist bekannt.

Aderlass nach Plan#

Der 550. Todestag des Meisters gibt Gelegenheit, sich Gedanken über das weitreichende Vermächtnis dieses weitgehend unbekannten Menschen zu machen. Denn Gutenberg war nicht im klassischen Sinne Erfinder des Buchdrucks. Vielmehr war er jener Mensch, der das bereits bekannte Wissen zusammentrug, es weiterentwickelte und so der ganzen Menschheit nutzbar machte. Zu seinen Beiträgen gehören die beweglichen Lettern, ein Handgießinstrument; auch die Entwicklung einer Letter-Legierung aus Zinn, Blei und Antimon sowie besserer Druckfarbe. Zusammen mit seiner genialen Idee der Druckerpresse schaffte er es um das Jahr 1450 herum, den Buchdruck zu einem effizienten Prozess zusammenzuführen. Bücher und andere Druckwerke wurden damit rasch verfügbar, billiger und vor allem ohne viel Aufwand beliebig oft vervielfältigbar.

Klar, dass es das "Buch der Bücher" war, das Gutenberg als eines der Ersten druckte. Die nach dem Seitenraster benannte 42-zeilige Gutenberg-Bibel gilt noch heute als eines der schönsten Erzeugnisse der Druckkunst. Ein Buch, das heute noch aussieht wie zur Zeit ihrer Entstehung, mit hochwertigem Papier und ästhetischem, sorgfältigem Satz. Sie war eine der Grundlagen für Gutenbergs Einkommen, denn eine Bibel verkaufte sich gut. Und es ist zweifellos kein Zufall, dass der erstmals mögliche billige Druck von Bibeln um 1460 und die Reformation 1517 innerhalb lediglich zweier Generationen liegen. Ohne Gutenbergs Werk hätte Luthers Reformation keine Chance auf Verbreitung gehabt.

Dass Gutenberg nicht nur vom Glauben beseelt war, zeigt, dass er auch viele allzu weltliche Dinge druckte: lateinische Grammatiken für die Schulen, Kalender für Aderlasse und Laxiere, Flugblätter, päpstliche Bullen und Ablassbriefe, in denen praktischer Weise nur der Name des Sünders eingefügt werden musste - gegen die Zahlung eines entsprechenden Betrages an Kirche oder katholische Orden.

Der Buchdruck gilt heute retrospektiv betrachtet als Beginn der dritten Medienrevolution nach Sprache und Schrift. Und sie tat, was Medien immer tun: Die Bedeutung der Handschrift verblasste im Laufe der Zeit, nur das Gedruckte hatte Gewicht. Wer ein Buch wollte, musste es nicht mehr mühsam abschreiben (lassen), sondern konnte es bei einem Drucker erwerben. Das trieb die Alphabetisierung und den Humanismus voran, holte Europa aus dem Mittelalter und bereitete den Weg hin zur Aufklärung. Wenn man so will, dann stehen Luther, Kant und Goethe auf Gutenbergs Schultern. Schon im 18. Jahrhundert sollen in Europa an die eine Milliarde Exemplaren an Büchern gedruckt worden sein - doppelt so viele als noch im 17. Jahrhundert.

Heute lebenden sogenannten "Digital Natives" mag die Bedeutung des Buchdrucks befremdend vorkommen, spielen doch gedruckte Werke seit zwei Jahrzehnten eine immer geringere Rolle. Sicherlich, sie haben nach wie vor ihren Platz im Leben vieler gebildeter Menschen. Aber das Leben an sich spielt sich zunehmend digital ab. Wer heute etwas nachsehen will, geht schon lange nicht mehr zu einer gedruckten Enzyklopädie, sondern googelt den gewünschten Begriff. Wenn man so will, sind die legitimen Erben Gutenbergs Menschen wie Larry Page und Jimmy Wales von Google und Wikipedia. In der Tat sind die Parallelen interessant. Auch bei Google und Wikipedia ging es weniger darum, etwas Neues zu erfinden, sondern darum, bereits existierendes Wissen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Digital ist nicht weniger wert#

Zweifelsohne ist das Internet für eine ganz massive Verbreitung von Wissen verantwortlich. Wenn man die technologische Einstiegshürde meistert und die Fähigkeiten mitbringt, sind der noch schnelleren Aggregation von Wissen keine Grenzen gesetzt. Sicher, Gutenberg war in erster Linie Geschäftsmann. Er lebte von den Büchern, die er druckte und verkaufte. Dass unsere derzeitige Wissens-Revolution auch die großflächige Abschaffung des Preises von Wissen gebracht hat, könnte sich in diesem Lichte noch als Nachteil erweisen. Insofern war es wohl ein Zeichen, dass schon Gutenberg oft Geldprobleme hatte und seine Investitionen stets über teure Kredite finanzierte.

Dass das Buch an sich seine Weiterentwicklung im Digitalen gefunden hat, ist wohl nur für Hardcore-Fans des gedruckten Wortes erschreckend. Ein Buch ist nicht weniger wert, bloß weil man es auf einem Bildschirm konsumiert und es digital in einer Sammlung aufbewahrt. Das macht die Idee, das Feuer, den Unterhaltungswert nicht kleiner oder größer. Man darf davon ausgehen, dass die digitale Welt die gedruckte ergänzt. Wer sein Buch schneller, billiger und vor allem ohne Lieferzeit will, wird mit einem iPad oder Kindle sehr glücklich werden. Wem die Haptik des gedruckten Wortes, die Nutzung auch abseits vom Strom und die Dauerhaftigkeit des Werks ein Anliegen ist, wird wohl weiter zum gedruckten Buch greifen.

Dass die digitale Welt es in Sachen Beständigkeit nicht mit einem gedruckten Werk aufnehmen kann, sollte zu denken geben. Dass ein Werk damit immer nur einen Systemwechsel, eine technische Generation oder ein Update von der Annihilation entfernt ist, ist wahrlich kein wünschenswerter Zustand. Es ist eine Absurdität, dass eine Bibel aus 1460 ihre Informationen noch immer an jeden Leser preisgeben kann, wir unsere Magnetbänder aus dem Jahr 1980 und unsere CD-ROMs aus 1990 längst nicht mehr konsumieren können. Wie soll man denn da noch für die Ewigkeit schreiben, wenn schon die eigenen Kindern nichts mehr damit anfangen können? Da bleibt von uns dann ja auch nicht mehr über als von Johannes Gutenberg.

Wiener Zeitung, 31. Jänner 2018