Geimpft - aber auch geschützt? #
Bei den Öffnungen ab 19. Mai werden circa drei Millionen Menschen zumindest einmal geimpft sein. Die Impfung schützt, aber nicht immer. Doch woher weiß man, wen nicht? Eine Nachfrage.#
Von der Wiener Zeitung (30. April 2021) freundlicherweise zur Verfügung gestellt
Von
Simon Rosner
Wenn in Österreich am 19. Mai Fitnesscenter, Lokale, Hotels und Theater öffnen, wird erst ein Teil der Bevölkerung geimpft sein. Vor allem unter 50-Jährige werden dann mehrheitlich noch keine Impfung erhalten haben. Auch sie dürfen zwar mit negativem Testergebnis überall hinein, wo es auch Immunisierten erlaubt ist, einen Schutz vor Ansteckung und Erkrankung haben sie aber nicht.
Die Zutrittstests reduzieren zwar auch für sie das Risiko, aber Antigentests sind generell unsicher, und umso mehr, als das Ergebnis 48 Stunden lang gültig sein dürfte. Ein "Negativer" kann da längst infektiös sein. Dazu kommt, dass in Innenräumen Ansteckungen durch kleinste Luftpartikel auch über viele Meter hinweg vorkommen, wie zahlreiche Studien bewiesen. Als die Regierung ihren Öffnungsplan vorstellte, riet Oswald Wagner, Vize-Rektor der MedUni Wien, beinahe verstohlen: "Vielleicht nehmen Sie noch nicht an den Öffnungen teil, wenn Ihr Impftermin erst zwei Wochen danach ist."
Doch auch für Genesene und Geimpfte stellt sich die Frage nach dem Schutz. Alle bisherigen Daten sowie epidemiologische Beobachtungen aus Großbritannien und Israel deuten darauf hin, dass die Impfung gut schützt, dass sich also deutlich weniger Menschen anstecken. In Israel ist die Sieben-Tage-Inzidenz auf unter 10 gesunken. Doch eine deutlich geringere Wahrscheinlichkeit einer Infektion bedeutet nicht, dass dies für jeden Einzelnen zutrifft.
Der Schutz baut sich ab der ersten Impfung langsam auf und wird durch die zweite Teilimpfung noch einmal verstärkt. Bei manchen passiert das schneller, bei anderen langsamer, jeder Mensch, jedes Immunsystem ist anders. Es sind daher nur allgemeine Aussagen möglich, wie etwa, dass drei Wochen nach der ersten Impfung die Wahrscheinlichkeit einer Infektion bereits deutlich reduziert ist.
Schon seit einem Jahr sind Antikörpertests für Sars-CoV-2 auf dem Markt. Sie dienten bisher dem Nachweis einer überstandenen Infektion. Das potenzielle Anwendungsgebiet hat sich aber nun erweitert. Es geht um die Frage: Bin ich wirklich geschützt? Experten warnen aber davor, dass die Ergebnisse dieser Tests missinterpretiert und dadurch falsche Schlüsse gezogen werden könnten. Aus einer Untersuchung aus Österreich ist etwa bekannt, dass auch hohe Antikörperlevels bei Genesenen nicht immer vor einer Reinfektion schützten.
Klarheit nur bei Neutralisationstest#
Es gibt mittlerweile verschiedene Systeme zum Nachweis von Antikörpern. Was sie eint, ist, dass jeweils das Blut untersucht wird. In den kommenden Wochen dürften verstärkt Schnelltests, die mit Fingerkuppenblut funktionieren, auf den Markt drängen. Sie versprechen ein Ergebnis in wenigen Minuten, und wie bei Antigentests geben sie nur an, ob ein Test positiv oder negativ ausfiel. Bei der MedUni Wien hat man solche Schnelltests bereits evaluiert, die Genauigkeit war jedoch eher ungenügend, wie Virologe Lukas Weseslindtner erzählt.
Bei den serologischen Tests in Labors (ELISA) erhält man einen Wert, den sogenannten Antikörpertiter bzw. BAU (Antikörper-Bindungseinheiten). Das ist ein Maß für die Menge an Antikörpern, es kann daraus allerdings nicht einheitlich abgelesen werden, ob das Serum einer Person die Viren auch daran hindert, die eigenen Körperzellen zu infizieren. Man kann also keinen klaren Grenzwert definieren, es handelt sich um reine Korrelationen. Dazu kommt aber noch ein größeres Problem: Diese Tests detektieren alle möglichen Sars-CoV-2-Antikörper, auch solche, die das Virus nicht neutralisieren. Aber genau diese braucht es, um das Virus erfolgreich zu bekämpfen.
Der Goldstandard ist daher der Virus-Neutralisationstest. Der ist aber nur in speziellen Labors möglich, weil mit dem infektiösen Virus gearbeitet werden muss. Er ist sehr aufwendig, teuer und nicht für eine große Nachfrage geeignet. Daher ist die Wissenschaft bestrebt, einen indirekten molekularen Nachweis für schützende Antikörper für die breite Anwendung zu etablieren. Das heißt, einen einfachen Bluttest, der mit den Ergebnissen eines Neutralisierungstests korreliert. Studien der MedUni Wien unter der Leitung von Pia Gattinger und Rudolf Valenta haben bereits gezeigt, dass solche Tests mit geringem Aufwand auf hohem Niveau und mit großer Aussagekraft machbar sind. "Breit ausgerollte Tests dieser Art werden zur wichtigen Standardisierung der Sars-CoV-2-Schutzspiegel führen", sagt der Immunologe Winfried Pickl von der MedUni Wien, einer der Autoren der Studie.
Nicht nur Antikörper bieten Schutz#
Dann werde man auch verlässliche Werte erhalten, ab denen eine Schutzwirkung abgelesen werden kann. Derzeit ist das aber seriös noch nicht möglich. "Unsere bisherigen Studien belegen ganz klar, dass selbst hohe Antikörpertiter im Einzelfall eben nicht besagen, dass ein ausreichender Schutz besteht", sagt Pickl.
Dazu kommt: Das Immunsystem ist komplex, und Antikörper sind nur eine unserer Waffen gegen virale Eindringlinge. Eine andere sind bestimmte Abwehrzellen. Sehr vereinfacht gesagt unterbinden Antikörper die Infektion, die Abwehrzellen verhindern eine schwere Erkrankung nach einer Infektion. Letzteres ist für den Einzelnen wohl die relevante Frage. Wer ins Café geht, will zwar nicht infiziert wieder nach Hause gehen, wenn aber die Infektion keine schwere Erkrankung auslöst, sondern nur eine Art Erkältung hervorruft, wird dies den meisten Menschen, wie auch in Vor-Covid-Zeiten, vermutlich reichen. Derzeit gibt es aber noch keinen schnellen Test zum Nachweis der zellulären Immunantwort, aber auch daran wird an der MedUni Wien geforscht.
Von anderen Impfungen, etwa gegen Hepatitis B, weiß man, dass manche Personen auf die Impfung kaum oder gar nicht reagieren. Das kann an den Menschen und ihrem Immunsystem liegen. So gibt es Studien, die zeigen, dass bei sehr alten Menschen die Immunantwort schwächer ausfällt, ebenso bei der Einnahme gewisser Immunsupressiva, also Medikamente, die bei Autoimmunerkrankungen verschrieben werden. Im Einzelfall kann auch bei einer Impfung etwas schiefgehen. So ist der Impfstoff von Biontech/Pfizer sehr instabil und darf nach dem Auftauen gar nicht geschüttelt werden. Wenn dies dennoch unabsichtlich passiert, könnte die verabreichte Impfung im Einzelfall kaum wirksam sein.
Insgesamt dürfte es nur wenige solche Fälle geben, bei denen die Impfung gar nicht anschlägt, für das gesamte Infektionsgeschehen sollte das keine Rolle spielen. Dem unglücklichen Einzelfall bringt diese Erkenntnis freilich wenig. Der gängige ELISA-Test, der von den meisten Labors angeboten wird, kann aber zumindest diese Unsicherheit nehmen. Wenn sich ein guter Antikörpertiter zeigt, kann zumindest ausgeschlossen werden, dass die Impfung, warum auch immer, gar nicht funktioniert hat. Bis aber verlässliche, einfache Nachweise eines Immunschutzes etabliert sind, wird ein kleines Restrisiko bleiben.
Bei geringem Schutz wiederholte Impfungen#
Anders sieht es bei Krebspatienten und Personen aus, die Immunsuppressiva nehmen müssen, sowie Personen, die von vornherein ein geschwächtes Immunsystem haben. "Da habe ich berechtigte Zweifel, dass alle diese Menschen auf die Impfung ausreichend reagieren", sagt Pickl. Für diese Gruppe, so der Immunologe, wäre ein standardisierter, molekularer Neutralisierungstests ideal. Sollten sich die ersten Hinweise bestätigen, dass sich nur ein schwacher Schutz zeigt, dann müssten diese Personengruppen wiederholt geimpft werden, gegebenenfalls mit wechselnden Impfstoffen. Ebenso könnte dies bei Älteren Sinn ergeben.
Risikopersonen, und darunter fallen Immunsupprimierte, wurden Großteils aber bereits geimpft. Die Gelegenheit, sie im Rahmen der Impfung explizit zu einem Test auf neutralisierende Antikörper einige Wochen später einzuladen (und dadurch auch wertvolle wissenschaftliche Daten zu gewinnen), wurde wohl verpasst. Im Gesundheitsministerium teilt man mit, dass solche Tests auch nicht von den Bestimmungen des Epidemiegesetzes abgedeckt sind. "Die Kosten dafür sind von den testenden Personen selbst zu tragen", heißt es.