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Ditmar & Urban#

(Vergebliche Mühe und spätes Gelingen)#

von Martin Krusche

Der D&U-Wagen ist der Letzte seiner Art, eines von bloß zwei gebauten Fahrzeugen. Damit ist eine Geschichte erwähnt, wie Unternehmergeist an seiner Zeit scheitert. Die Grazer Automobilproduktion war von den Produkten des Johann Puch dominiert. Wer tieferes Interesse am Thema hat, kennt vielleicht noch Benedict Albl, der hervorragende Fahrräder produzierte, aber am Automobilbau scheiterte. Doch wer kennt Ditmar & Urban?

D&U Type I auf dem Grauer Hauptplatz. (Alle Fotos: Martin Krusche)
D&U Type I auf dem Grauer Hauptplatz. (Alle Fotos: Martin Krusche)

Es gab eine Zeit, da wurden Familiennamen zu Automobilmarken. Beispiele wie Chevrolet, Opel, Puch oder Renault sind uns allen geläufig. Manche Autos erhielten Doppelnamen. Rolls Royce ist noch allgemein bekannt. De Dion-Bouton werden vermutlich nur Liebhaber kennen, obwohl zum Beispiel deren Motoren bei anderen Automobilmarken in ganz Europa verbaut wurden. Laurin & Klement könnte manchen als große Konkurrenz von Puch geläufig sein. Bei Marken wie Chenard & Walker oder Panhard-Levasseur muß jemand die Automobilgeschichte schon genauer kennen.

Dann wäre da noch D&U. Diese Marke stammt aus Graz. Das Unternehmen schaffte seinerzeit nur zwei Einheiten ihres vielseitig nutzbaren Autos. In den 1920er Jahren konnte sich ein kleiner Schuppen mit einem unspektakulären Standardprodukt unmöglich auf dem Markt etablieren. Weshalb? Längst davor, rund um 1910, hatte in Europa wie in den USA die Zweite Industrielle Revolution ihren Lauf genommen und Produktionsweisen in den Fabriken grundlegend verändert. Werkstätten und Manufakturen konnten da nicht mithalten. Das Schlüsselwort lautet bis heute oft: Stückzahlen.

Das Duo#

Rudolf Ditmar, Jahrgang 1880, stammte von Wiener Großindustriellen. Otto von Urban wurde 1888 in eine Offiziersfamilie geboren. Urban lebte nach dem Großen Krieg erst einmal als Gutsbesitzer in Flöcking, nahe dem oststeirischen Gleisdorf. Er übersiedelte 1926 nach Graz, später nach Klagenfurt. Ditmar beschloß sein Leben im oststeirischen Albersdorf. Das meint allerdings nicht Albersdorf-Prebuch bei Gleisdorf, sondern jenes an der B72, einen Ort zwischen Graz und Weiz.

Im Jahr 1919 versuchte sich Ditmar als Autohändler. Seine Vertretung für Automobili Aurea (Fabbrica Torinese Automobili Aurea) ergab keinen größeren Eintrag in den Geschichtsbüchern. Das war freilich eine typische Situation. Während der Zwischenkriegszeit ginge zahllose tatendurstige Unternehmer daran, in dieser radikal aufstrebenden Branche etwas zu erreichen. Die Mechanisierung des Großen Krieges hatte die Welt erschüttert und den Kraftfahrzeugbau beflügelt.

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Urban war zu jener Zeit mit Erfahrungen als Kärntner Generalvertreter von Tatra ähnlich versiert wie Ditmar. Allerdings mit einem ganz anderen Kaliber. Tatra war ging aus der ursprünglichen Nesselsdorfer Wagenbau-Fabriks-Gesellschaft hervor, in der ab 1921 Hans Ledwinka als Konstrukteur tätig war. Österreich litt noch erheblich unter den Folgen der Kriegstreiberei seiner vormaligen Aristokratie. Die neu gezogenen Grenzen von 1919 hatten erhebliche Rohstoffquellen und Absatzgebiete zum Ausland gemacht. Es fehlte an Rohstoffen und Devisen. Von der einheimischen Mittelschicht hatten viele Familien ihre Vermögen durch Kriegsanleihen verloren und entfielen daher als Automobilkundschaft.

Die Zwischenkriegszeit war folglich von einer sehr angespannten Marktlage geprägt. Dazu kam die Beschleunigung der technischen Entwicklungen. Das erzeugte einen enormen Bedarf an Kapital, weil ständig Investitionen nötig waren. Solche technische und wirtschaftliche Dynamik zwang viele Unternehmer, Banken als Teilhaber ins Boot zu holen und mit anderen Konzernen unterschiedliche Kooperationen anzustreben. Zu all dem kam die zwingende Notwendigkeit, etwas zur Entstehung von Vertriebs- und Servicenetzen beizutragen. Solche Erfahrungen hatte schon Altmeister Johann Puch gemacht, der kurz vor dem Ersten Weltkrieg verstorben war.

Vorbei die Zeiten, als die Hersteller einzelne Autos per Versand an die Kunden brachten, begleitet von einem Mechaniker, der die Einschulung vornahm. So hatte im Jahr 1893 zum Beispiel Carl Benz persönlich den sehr überraschten Herren von Zardetti in Bregenz mit dem eben per Bahn angelieferten (dreirädrigen) Patent-Motorwagen vertraut gemacht. Kleinserien wurden schon bald darauf zu Randerscheinungen.

Umbrüche#

War zwischen 1900 und 1910 vielerorts die Fertigung von Unikaten zu Kleinserien übergegangen, erfolgte danach ein Kategoriensprung, durch den sich die Wege gabelten. Neue Werkzeugmaschinen, Automaten und Halbautomaten, machten es möglich, bei gleichbleibender Qualität größere Stückzahlen diverser Komponenten herzustellen. Zahnräder, Wellen etc.
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Das markierte den Beginn der Zweiten Industriellen Revolution. Eine Automatisierungswelle. Damals gab es bei uns zwar noch keine Fließbänder, aber die Fahrzeugproduktion wurde in neuen Hallen linear angeordnet. Genau das war der Anlaß für den Bau jener Halle in Johann Puchs Grazer Stammwerk, die noch heute existiert und das Museum beherbergt. Auf dieser Produktionslinie wurden unterwegs Qualitätskontrollen eingeführt.

Abseits davon etablierte Puch Lehrwerkstätten, um für qualifizierten Nachwuchs zu sorgen. Mit solchen Automatisierungsschritten und einer organisierten Effizienzsteigerung konnten die Stückzahlen sprunghaft zunehmen und die Verkaufspreise abgesenkt werden. Ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Volksmotorisierung.

Damit mag deutlich werden, welche Konkurrenz längst bestand, als Ditmar und Urban überhaupt erst begannen, eigene Autos zu produzieren. Was noch an Quellen zu finden war, läßt den Schluß zu, daß die Firma bestenfalls ein Jahr Bestand hatte, ehe am 31.1.1925 das Gewerbe zurückgelegt wurde. (Die Löschung der Firma aus dem Handelsregister erfolgte am 18.6.1925.)

Der D&U Type I, dem nie eine Type II folgte, ist in einem stillen Winkel erhalten geblieben. (Das zweite Exemplar soll bei einem Hochwasser verlorengegangen sein.) Im Jahr 2004 ging er als Geschenk an den Wiener Verein zur Förderung historischer Fahrzeuge der österreichischen Automobilfabriken.

Da Fahrzeuge schon nach ein, zwei Monaten erste Standschäden erleiden, mag man sich ausmalen, wie so ein Wagen nach Jahrzehnten des Stillstands aussieht. Eine interessante Aufgabe, der sich eine wachsende Gruppe engagierter Personen gewidmet hat. So ein Unterfangen verlangt Geld und gutem Rat. Beides mußte oft erst mühsam lukriert werden. Das verlangt Hingabe, wo die Gruppe mangels einer Dokumentation (und generell von schlechter Quellenlage umgeben) aufwendige Recherchen auf ganz verschiedenen Ebenen anzustellen hatte.

Dem genannten Verein mit Obmann Stefan Reitgruber schloß sich noch die ÖGHK an, vertreten durch Heinz Mesicek. Dieser Österreichischen Gesellschaft für historisches Kraftfahrwesen gehört übrigens auch Gottfried Lagler an. Er vertritt eine steirische ÖGHK-Sektion und wird den D&U-Wagen im Rahmen der Löwenrallye 2019 in der Oststeiermark zeigen.

Gottfried Lagler beim D&U-Wagen
Gottfried Lagler beim D&U-Wagen

Damit das möglich ist, waren ungezählte Handgriffe nötig, bis der Wagen wieder fahrbereit wurde. Das stützte sich auf ein solides Stück kollektiver Wissensarchäologie, was meint: verlorenes Wissen mußte aufgestöbert und geborgen, wahlweise durch taugliche Vermutungen ersetzt werden. Dazu braucht es ein Netzwerk erfahrener Leute, die mit Kraftfahrzeugen jener Ära gut vertraut sind. Was mangels stichhaltiger Informationen nicht dem Original entsprechend ersetzt werden kann, soll wenigstens im Geist der Ära wieder erstehen.

Stückwerk#

Während man in Fabriken bemüht war, alle benötigten Komponenten nach Möglichkeit selbst zu produzieren, mußten kleine Betriebe vieles Zulieferern kaufen. In der Monographie zu diesem Automobil und seiner Restaurierung heißt es, die ursprüngliche Wertschöpfung habe sich vermutlich aus dem Bau des Rahmens, der Anfertigung der Karosserie und dem Zusammenbau des Wagens ergeben, alles weitere sei zugekauft worden. (Allerdings könnte auch die Vorderachse aus eigener Produktion stammen.) Wie erwähnt, eine übliche Praxis kleiner Betriebe. Damit wurden später manche Zulieferbetriebe groß, wofür Frank Stronachs Magna ein typisches Beispiel ist.

Den Motor hatten Ditmar und Urban mutmaßlich aus Italien bezogen. Einige Details lassen den Schluß zu, daß er von F.A.T.A. aus Turin stammt. Ein Reihenvierzylinder mit 1460 ccm Hubraum, der rund 22 PS liefert. Die elektrische Anlage kam von Eisenmann in Stuttgart. Der Windschutzscheibenrahmen wurde von der Grazer Schlosserei Kokol geliefert.

Auf den Stahlblechrahmen kam ein Holzgerippe, das mit Blech beschlagen wurde. Dazu ein wechselbarer Winteraufsatz, um bei kaltem Wetter am Steuer besser geschützt zu sein. Die Spritzwand zwischen Fahrgast- und Motorraum besteht aus aufwendigem Aluminiumguß.

Im August 2018 wurde der D&U-Wagen aus Niederösterreich angeliefert, um noch einmal in die Grazer Schönaugasse auf jenem Terrain zu stehen, wo einst die Werkstatt bestanden hatte. Danach wurde er Grazer auf dem Hauptplatz vor dem Rathaus ausgestellt. Von da aus rollte das betagte Automobil mit zartem Motorgeräusch auf die Herrengasse hinaus, um nach einer kleinen Runde wieder zur Ruhe zu kommen.

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Nachwort#

Nora Urban notierte in ihren Lebenserinnerungen „Wir alten Österreicher“ (Wieser Verlag) einige Momente, die das Bild jener Ära abrunden. „Nach dem Tod des kleinen Ernst verließen sie Flöcking und mieteten in Stifting bei Graz das wundersame Haus des Kammersängers Manowarda. Otto versuchte sich in Graz mit seinem Partner Rudolf Ditmar als Autokonstrukteur. Nach zwei erzeugten Exemplaren des D&U Wagens ward alles Geld dahin und der Gerichtsvollzieher häufiger, aber unwillkommener Gast. Die Familie übersiedelte nach der Geburt des Sohnes Karl nach Klagenfurt, wo Otto die Vertretung von Tatra übernahm und auch Fahrstunden gab. Einst hatte der kleine Otto, als man ihn fragte, was sein Vater sei, ‚Ein Held!’ geantwortet, der kleine Karl gab auf dieselbe Frage ‚Ich glaube, Chauffeur’ zur Antwort. So ändern sich die Zeiten!“

So war die vergebliche Mühe der Männer, sich als Automobilproduzenten zu etablieren, vom späten Gelingen, einen der beiden Wagen wieder auf die Straße zu bringen, ergänzt und vertieft.


Weiterführend#