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Eine „schwarze Kommunistin“?#

Das erste weibliche Regierungsmitglied war eine Christgewerkschafterin. 1966 übernahm die Textilarbeiterin und Sekretärin Grete Rehor das „tiefrote“ Sozialministerium.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: Die Presse (Freitag, 15. Juni 2012)


Wien, am 6. März 1966. Der Todestag der ersten Großen Koalition, die immerhin – unter Dominanz der ÖVP – seit 1945 gedauert hat. Am Wahlabend (Umfragen sind noch äußerst vage) erwarten sich die Auguren zwar Stimmen- und Mandatsgewinne für die Volkspartei, aber niemals jenen Triumph, den Bundeskanzler Josef Klaus einfahren wird. Schuld ist der desaströse Absturz der Sozialisten, die ihre „Olah“-Krise noch nicht ganz verdaut haben. Nun steht es 85 zu 74 für die ÖVP im 165 Sitze zählenden Nationalrat. Und da die Freiheitlichen nur sechs Mandate erreichen, könnte Klaus eine Alleinregierung wagen. Es wäre die erste im österreichischen Demokratiesystem der Zweiten Republik. Soll er die SPÖ derart demütigen?

Koalitionsverhandlungen platzen#

Klaus entschließt sich zu Koalitionsgesprächen mit dem bisherigen Partner. Sein Generalsekretär Hermann Withalm übernimmt das Ruder bei den Verhandlungen, die Gespräche scheitern schließlich. Auch viele Sozialisten sind eher erleichtert: In der Opposition könnte sich die zutiefst verunsicherte Partei programmatisch und personell regenerieren.

Die ÖVP wagt den Sprung in die alleinige Verantwortung. Klaus muss innerhalb weniger Tage zwölf ministrable Personen finden. Dem „Presse“-Chefredakteur Otto Schulmeister bietet er das Bildungsressort an – der lehnt dankend ab. Die meisten der neuen Minister haben entweder schon Regierungserfahrung aus der alten Koalition oder sind langgediente Parlamentarier.

Nur eine Persönlichkeit hat sich öffentlich stets sehr zurückgehalten: Grete Rehor, 55 Jahre alt, soll das Sozialministerium übernehmen, das seit Menschengedenken ehernen Besitzstand der SPÖ darstellte. Wer ist diese zierliche, fast zerbrechlich wirkende Person, die als erste Frau ein Regierungsamt übernehmen wird, fragt man sich.

In der Volkspartei nicht. Dort ist sie wohlbekannt, zählt mit ihrem Mann zum engsten Freundeskreis des Bundeskanzlers. Als Margarete Daurer 1910 in Wien geboren, hat sie schon schwere Schicksalsschläge hinnehmen müssen. Ihr Vater, ein Beamter, war im Ersten Weltkrieg gefallen, ihre Mutter, eine Krankenschwester, starb ebenfalls früh. So war der Berufswunsch der 19-Jährigen unerfüllbar: Lehrerin wollte sie werden, Textilarbeiterin wurde sie, um sich die Handelsschule finanzieren zu können.

Eine nur kurze Ehe#

In Abendkursen holt sie das gewerkschaftliche Rüstzeug nach, das ihr den beruflichen Aufstieg sichert: hauptamtliche Sekretärin im Zentralverband der christlichen Textilarbeiter Österreichs (1927) und bis 1938 auch das erste weibliche Mitglied im Jugendbeirat der Arbeiterkammer Wien. „Jugend am Werk“, „Jugend in Not“ und „Jugend in Arbeit“ liegen ihr am Herzen.

1935 heiratet sie den Christgewerkschafter und späteren Stadtrat Karl Rehor. Der ist ein enger Jugendfreund von Josef Klaus, mit dem er die christliche Jugendbewegung „Junge Front im Arbeiterbund“ gegründet hat. 1938 bleiben nur Scherben, Leid und Tränen übrig. Karl Rehor wird von der Gestapo inhaftiert, 1940 dann zur Wehrmacht eingezogen, mit der er nach Stalingrad ziehen muss, wo er wahrscheinlich 1942 „für den Führer und Großdeutschland“ stirbt. Er gilt als vermisst.

1945 beginnt ihr Aufstieg#

Kriegerwitwe und Alleinerzieherin einer Tochter: Rehor meistert auch dieses Schicksal mit einer Konsequenz, für die sie bei ihren Gewerkschaftsfreunden bewundert wird. Der Tochter ermöglicht sie sogar später ein Studium.

1945 ist sie gleich wieder dabei, in der Gewerkschaft der Textil-, Bekleidungs-, und Lederarbeiter. Sie steigt zur FCG-Bundesvorsitzenden in diese Fachgewerkschaft auf, immerhin eine der größten jener Zeit. Still, aber zielstrebig vollzieht sich ihr weiterer Aufstieg, bis zur Chefin aller Frauen in der Fraktion christlicher Gewerkschafter. Im ÖAAB macht sie das Frauenreferat zur größten weiblichen Gruppierung in der ÖVP.

Für Klaus ist es daher keine Frage, wer das umfangreiche, unübersichtliche und „rote“ Sozialressort übernehmen soll. Es muss jemand sein, der/die sich bei Lohn- und Tarifverhandlungen bewährt hat und von den Sozialpartnern geschätzt wird, sonst hätte das Experiment einer Alleinregierung keine lange Lebensdauer. Die Christgewerkschafterin mit ihren Forderungen nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit wird von der SPÖ akzeptiert.

Karl Kummer – übergangen#

Als Alternative steht eigentlich nur Dr. Karl Kummer zur Wahl. Für den großen sozialpolitischen Theoretiker der Christgewerkschaft mag es eine herbe Enttäuschung sein, als Klaus seine Wahl bekannt gibt und im vertrauten Kreis auch begründet: „Eine ehemalige Textilarbeiterin, Kriegswitwe, Gewerkschaftssekretärin, Parlamentarierin, jahrzehntelanges Mitglied des Sozialausschusses – und noch dazu eine Frau, die Bundesleiterin der Frauen im ÖAAB, eine Wienerin mit Charme, Witz und Schlagfertigkeit, das ist die beste Lösung!“

Die Sensation ist perfekt, die Medien stürzen sich auf die zierliche, immer freundliche Dame. Sie findet die Wahl gar nicht so aufregend: „Es ist wichtig und richtig, wenn Frauen auch in höchste Positionen vordringen. Das entspricht nicht nur der Beschäftigungsstruktur, sondern auch der Wählerstruktur“, sagt sie an ihrem ersten Amtstag.

Ein unnötiger Feiertag#

Von diesem Tag an wird sie bis 1970 automatisch auch dem ÖVP-Bundesparteivorstand angehören. Sie bringt wichtige Reformen auf den Weg: Arbeitsmarktförderungsgesetz, Lebensmittel-, Hausbesorgergesetz (das unter Schüssel/Riess-Passer wieder gekippt wurde), die Weiterführung der Kodifikation des Arbeitsrechts und die Einführung eines zusätzlichen Feiertages: der 8.Dezember. Von der katholischen Kirche wurde dies laut Ministerratsprotokoll schon 1947 gefordert, von der Regierung Figl aber einhellig abgelehnt. Die SP-Minister sprachen ganz unverhohlen von einer „Schnapsidee“, die nur die Produktion schädige. Bis heute ist dieser arbeitsfreie Tag heftig umstritten.

Die Aufwendungen für das Sozialbudget steigen unter der Regierungszeit von Klaus bis 1970 um 66Prozent, die reale Erhöhung der Pensionen um 22Prozent. Damit können auch die Sozialisten in der Opposition schwer unzufrieden sein. Dass Grete Rehor deswegen bisweilen schon als „schwarze Kommunistin“ diffamiert wird, dürfte aber ein Gerücht bleiben.

Den Behinderten verbunden#

Mit der Wahlniederlage der ÖVP 1970 findet die Karriere als Sozialministerin ein abruptes Ende. Grete Rehor bleibt dem Sozialen aber verbunden, jetzt eben als Vizepräsidentin einer Dachorganisation für 61Behindertenverbände.

Am 28.Januar 1987 stirbt die auch von politischen Gegnern geschätzte Politikerin im Alter von 76Jahren in Wien. Zur Erinnerung an sie heißt die Grünfläche am Schmerlingplatz hinter dem Parlament „Grete-Rehor-Park“. Und der „Grete-Rehor-Hilfsfonds“ spendet heute noch Segen für behinderte Jugendliche. Die Wiener Kommunalpolitikerin Maria Hampel-Fuchs hat diese Aufgabe von ihrem politischen Vorbild übernommen. Die frühere Landtagspräsidentin hat auch über sie publiziert.

Die Presse, Freitag, 15. Juni 2012


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