Das menschenlose Büro#
Im Wettkampf mit Maschinen zieht der Mensch den Kürzeren: Auch qualifizierte Jobs fallen der Automatisierung zum Opfer.#
Von der Wiener Zeitung (Samstag, 19. November 2016) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Eva Stanzl
"My Burger" nennt McDonald’s Fast Food zum Selbermachen. An einem speziellen Terminal kann sich jeder seinen eigenen, ganz persönlichen Burger zusammenstellen. In einen Touchscreen gibt er "Fleisch" oder "vegetarisch" ein, Brötchen mit oder ohne Sesam, welchen Salat und welche Sauce, ob Gurke oder nicht, die Pommes-Größe und das Getränk. Bezahlt wird auch am Terminal. Nur bei der Essenausgabe stellt ein Mitarbeiter das fertige Menü auf die Budel, aber auch die Tage dieses Arbeitnehmers in der Restaurant-Uniform mit den zugenähten Taschen sind gezählt. Über kurz oder lang wird McDonald’s nämlich Roboter als Hamburger-Brater in die Küche stellen und alle Handgriffe darüber hinaus an die Kunden auslagern. Dann wird es nicht mehr heißen: Der Kunde ist König. Sondern: Danke für die Mitarbeit.
Sie kommt, so unaufhaltsam wie ein Lavastrom: die Automatisierungswelle. Seit Mitte der 1970er Jahre sind die Einkommen inflationsbereinigt gesunken, während die Produktivität zulegte und die Lebenshaltungskosten in die Höhe schnellten, warnt der US-Softwareunternehmer und Autor Martin Ford in seinem Buch "Rise of the Robots". Seit der Jahrtausendwende entstehen keine neuen Arbeitsplätze, dafür verdoppelt sich die Computer-Rechenleistung alle 18 bis 24 Monate. Nachdem die Industrie mehr als ein Jahrhundert lang auf menschlicher Arbeit aufbaute, wird nun der Mensch im Job immer weniger gebraucht. Roboter und Computer erledigen nahezu jede Arbeit viel billiger.
Ob dieser "nächsten industriellen Revolution", wie sie genannt wird, könnten ganze Gesellschaften in Existenzängste verfallen. Politiker und Ökonomen beschwichtigen mit den schönen Seiten der Veränderung: Die Bürger werden mehr Zeit haben, um all das zu tun, was sie immer schon tun wollen. Gesundheitsschädliche, körperlich anstrengende und gefährliche Arbeiten würden wegfallen, Maschinen außerdem nur Routinetätigkeiten übernehmen.
Stimmt nicht, warnt Ford, seit 25 Jahren Software-Entwickler im kalifornischen Silicon Valley, eine Geburtsstätte des technologischen Fortschritts. Routinejobs würden der Automatisierung bloß als Erste zum Opfer fallen. Danach würden aber garantiert auch mittel- und höherqualifizierte Aufgaben folgen. "Die Robotik steht an der Schwelle zu explosionsartigem Wachstum, denn die Hardware- und Software-Komponenten werden immer billiger und fähiger", warnte er bei einer Konferenz zur "Ökonomie des digitalen Wandels" des Infrastrukturministeriums Ende dieser Woche in Wien. Wer sich also heute händeringend fragt, woher in Zukunft Brot und Butter kommen sollen, hat durchaus recht. Wenn alles so kommt, wie Ford es erwartet, garantiert künftig nicht einmal eine Top-Ausbildung einen gut bezahlten Job.
Um die Jahrtausendwende, als internationale Konzerne ihre Produktionen nach Asien auslagerten und die Fabriksarbeiterjobs mitnahmen, schienen Politiker aller Richtungen sich einig: Nur Bildung und Qualifikation, Forschung und Innovation können dafür sorgen, dass der Standort überlebt. Die Menschen müssten geistig rege bleiben, um dem technischen Fortschritt, der Outsourcing nach China oder Indien ermöglichte, stets eine Nasenlänge voraus zu sein. Für einen Platz im sonnigen Mittelstand brauche man einen Universitätsabschluss und Kreativität, müsse flexibel und mobil sein und laufend seine Qualifikationen erweitern.
"Doch nun bedroht die Technolgisierung selbst die Flinksten und Flexibelsten unter uns und selbst jene mit den besten Ausbildungen", betonte Ford im Interview mit der "Wiener Zeitung" am Rande der Konferenz. Von Hausmeister bis zum Chirurgen macht die Automatisierung vor nichts und niemandem Halt. Inzwischen gibt nicht nur Roboter, die staubsaugen oder den Rasen mähen, sondern auch Software, die Texte verfasst, aus unstrukturierten Daten nützliche Informationen filtert oder Recherche- und Analyseaufgaben zu durchführt. Computer können administrieren, Reisen buchen und Finanzdienstleistungen erledigen, haben schon ihre ersten Musikstücke komponiert, ihre ersten Bilder gemalt und in wenigen Jahren sollen sie sattelfest in medizinischen Diagnosen sein.
Bald sollen Drucker Betonwände von Häusern "drucken" können - die Auswirkungen auf das Baugewerbe, das weltweit 110 Millionen Menschen beschäftigt, bleiben abzuwarten. Und selbstfahrende Autos, die niemand besitzt, aber jeder bei Bedarf über das Smartphone rufen kann, könnten der ohnehin marodierenden Taxi-Branche den Todesstoß versetzen. "Wenn die künstliche Intelligenz nur zehn bis 20 Prozent der Fachkräfte wegautomatisieren würde, wäre das bereits eine soziale Katastrophe, tatsächlich könnte diese Zahl in den nächsten zehn bis 20 Jahren aber durchaus auf 50 Prozent steigen", so Ford. Die Zahl deckt sich mit einer Studie von Carl Benedict Frey und Michael Osborne, "The Future of Employment" aus 2013. Die US-Ökonomen gehen von einer 70-prozentigen Wahrscheinlichkeit aus, dass 47 Prozent der existierenden Berufe mittelfristig wegfallen.
Nur Tätigkeiten von Kreativen, Künstlern, strategischen Planern, Sozialarbeitern, Kunsthandwerkern oder Handwerkern an sich, die Geschick oder kreatives Denken erfordern, räumt Ford gute Chancen ein. Für alle anderen Menschen löst sich das Einzige, das sie auf dem Markt anzubieten haben - ihre Arbeit -, in Luft auf. Zur Lösung favorisiert Martin Ford das Modell eines bedingungslosen Grundeinkommens, wie es nun als Pilotprojekt in Finnland unternommen wird. "Steuerlich birgt das viele Probleme, weil Reformen nötig wären. Die meisten Regierungen sind nicht sehr enthusiastisch, weil sie fürchten, dass viele Leute sich auf dieser Stütze ausruhen. Das Grundeinkommen muss daher intelligent entworfen werden und einen Anreiz bieten, dazu zu verdienen oder Unternehmen zu gründen", sagt er: "Auf keinen Fall sollten Menschen mit Initiative mit Kürzungen des bestraft werden."
Und wer soll es bezahlen? "Der Pulk der Steuerlast für ein Grundeinkommen sollte auf Menschen mit Kapital entfallen, die von der Automatisierung profitieren und damit Geld verdienen", sagt Martin Ford. Auch eine Maschinensteuer oder eine Abgabe für jene, die sich in dem System gute Jobs sichern können, sei denkbar. Denn während schon heute die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen einbreche, weil viele Menschen kein Geld haben, würden die Reichen immer reicher, weil sie sich die Früchte der Arbeit und der Investitionen vieler aneignen.
Technologiegiganten nutzen Erfindungen der Grundalgenforschung und profitieren vom Netzausbau, die mit Steuermitteln finanziert wurden. Die Steuerzahler gehen weitgehend leer aus, nur einige Glückspilze kommen zu phänomenalem Reichtum. Der britische Publizist Edward Luce bietet in der "Financial Times" einen schockierenden Überblick: 2006 kaufte Google YouTube mit 65 Mitarbeitern für 1,65 Milliarden Dollar - jeder Angestellte war also 25 Millionen wert. 2012 kaufte Facebook Instagram mit 13 Mitarbeitern für eine Milliarde, das machte 77 Millionen pro Kopf. "2014 kaufte Facebook schließlich WhatsApp mit 55 Arbeitnehmern um 19 Milliarden, also ganze 345 Millionen pro Person. Das Facebook-Datenmanagement erledigen aber keine Menschen, sondern ein Softwareprogramm, bei dem ein einziger Techniker 20.000 Computer wartet", berichtet Luce. Weiters kämen nun erste Unternehmen aus Asien zurück, weil ihnen die Personalkosten dort zu teuer seien und sie mit einer automatisierten Produktion in den USA billiger fahren.
Scheitert die Menschheit an der Globalisierung oder an der Gewissenlosigkeit einiger Weniger? "Bis zu einem gewissen Grad funktioniert die Globalisierung für alle, denn manche Dinge sind billiger geworden", sagt Ford. "Wenn aber jemand seinen Job verliert, betrifft das sein ganzes Leben, und diese Verlierer haben wir vergessen zu kompensieren."