Seite - 9 - in Digitale Datenbanken - Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
Bild der Seite - 9 -
Text der Seite - 9 -
9Einleitung
und kulturwissenschaftlicher Betrachtungen.7 Der notorische Stichwortgeber des
aufkeimenden Datenbankdiskurses ist Lev Manovich, der bereits Ende der 1990er
Jahre in einem vielbeachteten Aufsatz die Datenbank als symbolische Form der
digitalen Medienkultur beschrieben hat.8 Durch die Datenbank wird seines Er-
achtens die Erzählung als dominante Form des kulturellen Ausdrucks abgelöst:
»After the novel, and subsequently cinema, privileged the narrative as the key form
of cultural expression of the modern age, the computer age introduces its correlate
– the database. Many new media objects do not tell stories; they do not have a
beginning or end; in fact, they do not have any development, thematically, formally,
or otherwise that would organize their elements into a sentence. Instead, they are
collections of individual items, with every item possessing the same significance as
any other.« (Manovich 2001: 218)
Für Manovich ist die Datenbank sowohl Symptom als auch Potenzial. So kon-
statiert er einerseits eine zunehmende Popularität der Datenbankform, für die
die prinzipielle Unabgeschlossenheit, offene Anschlussfähigkeit und ungeord-
nete Multiperspektivität von Informationssammlungen charakteristisch sei (vgl.
Manovich 2001: 219f.). Andererseits erblickt Manovich in Datenbanken die Chance,
neue (medienkünstlerische) Ausdrucksformen und Gestaltungsprozesse zu er-
kunden (vgl. Manovich 2001: 227; Manovich/Kratky 2005).9
Manovichs holzschnittartige Gegenüberstellung von Erzählform und Daten-
bankform hat sich als ungemein populär erwiesen, wie die große Zahl an
Publikationen zeigt, die an dessen Ansatz anschließen (vgl. exemplarisch Vesna
2007a; Böhme et al. 2012; Folsom 2007). Dennoch greift Manovichs Ansatz zu
kurz, da die vielfältigen und teilweise gegenläufigen Transformationen unserer
zeitgenössischen Medienkultur durch diese »easy binary« (McGann 2007: 1589)
nicht adäquat beschrieben werden können. Vor allem die konkreten medientech-
nischen Verfahren der Versammlung, Verwaltung und Verarbeitung digitaler
7 | Die Diagnose eines Information Overload ist weder neu noch spezifisch für den
Bereich digitaler Medientechnologien. Wie Markus Krajewski anmerkt, setzte be-
reits kurz nach der Erfindung des Buchdrucks ein Gefühl von Überwältigung durch
die wachsende Zahl verfügbarer Bücher ein, welches in der Metapher der Bücherflut
zum Ausdruck gebracht wurde (vgl. Krajewski 2002: 16). Ähnliche nautische Meta-
phern sind heute noch immer verbreitet, wie zum Beispiel im Begriff der data deluge,
d.h. der Datensintflut, die im digitalen Zeitalter über uns hereinzubrechen droht (vgl.
Borgman 2007: 6f.; Bell et al. 2009).
8 | Die Position Manovichs wird im zweiten Teil des Kapitels »Datenbank« ausführ-
lich rekonstruiert und diskutiert.
9 | Unter dem Titel Cultural Analytics thematisiert Manovich in jüngster Vergangenheit
auch verstärkt die Potenziale datenbankbasierter Forschungsmethoden für die Kul-
turwissenschaft; siehe hierzu exemplarisch Manovich (2009).
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Titel
- Digitale Datenbanken
- Untertitel
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Autor
- Marcus Burkhardt
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 392
- Kategorie
- Informatik
Inhaltsverzeichnis
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242