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von Bildern ist eine neutralitätsmodifizierte Wahrnehmung. Mit dem Begriff der
Neutralitätsmodifikation bezeichnet Husserl
»eine Modifikation, die jede doxische Modalität, auf die sie bezogen wird, in ge-
wisser Weise völlig aufhebt, völlig entkräftet – aber in total anderem Sinne, wie
die Negation, die zudem, wie wir sahen, im Negat ihre positive Leistung hat, ein
Nichtsein, das selbst wieder Sein ist. Sie durchstreicht nicht, sie ›leistet‹ nichts, sie
ist das bewußtseinsmäßige Gegenstück alles Leistens: dessen Neutralisierung.«
(Husserl 1950 [1913]: § 109)
Im Bildbewusstsein ist die Wirklichkeit des Bildobjekts neutralisiert. Damit ist
nicht gesagt, dass Bilder nicht als Bilder der Wirklichkeit erscheinen können, doch
aber, dass Bildobjekte nicht die Wirklichkeit sind, die sie darstellen. Der Wirklich-
keitsbezug von Bildern manifestiert sich nicht am Bildobjekt, sondern ist eine Frage
der Interpretation des Bildobjekts (vgl. Wiesing 2005c: 62ff.).
Die Husserlsche Beschreibung des Phänomens der Bildlichkeit nimmt Ausgang
bei den medialen Konstellationen und reflektiert auf den spezifischen Bewusstseins-
modus, den die Bildwahrnehmung hervorruft. Insofern betreibt Husserl an Bildern
eine Phänomenologie medialer Konstellationen, die es ihm erlaubt, die spezifische
Weise zu beschreiben, in der Bilder dem Bewusstsein normalerweise erscheinen.
Unter umgekehrten Vorzeichen wendet sich Mersch der Beschreibung medialer
Konstellationen zu:
»Die Struktur des Sozialen, der Kommunikation oder auch der Künste zu untersu-
chen, verlangt eine Theorie des Mediums, aber eine Theorie des Mediums kann sich
umgekehrt allein auf das Medialisierte stützen, auf die Weisen der Verbildlichung,
der Repräsentation oder die Figuren des Bezugs, die Strukturierung des Sinns und
die Syntax der Zeichenordnungen, die in es eingehen.« (Mersch 2003b: 137)
Die exemplarisch an Husserls Bildtheorie vorgeführte Möglichkeit einer positiven
Phänomenologie der Medienprodukte wandelt sich bei Mersch in eine negative
Medientheorie, die jedoch gleichsam von der Beschreibung medialer Konstel-
lationen ausgeht. Nach Ansicht Merschs lässt »sich die Struktur des Medialen
nicht mitmediatisieren [...] – sie zeigt sich« (Mersch 2006a: 5) in den Paradoxien
und Brüchen, welche das Vermittelte durchziehen. Als Modell dient Mersch Witt-
gensteins späte Sprachphilosophie: »Wie ›Landschaftsskizzen‹ exemplifizieren
die [Philosophischen, M.B.] Untersuchungen das Mediale der Sprache, ohne es zu
erklären« (Mersch 2010: 188). Medialität zeigt sich, so die These, in ihrem Gebrauch,
den es zu beschreiben gilt. Die Überlegung, dass sich im Gebrauch von Medien
etwas zeigt, das nicht gesagt werden kann, findet sich bereits beim frühen Witt-
genstein des Tractatus logico-philosophicus: »Was in den Zeichen nicht zum Aus-
druck kommt, das zeigt ihre Anwendung. Was die Zeichen verschlucken, das
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Titel
- Digitale Datenbanken
- Untertitel
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Autor
- Marcus Burkhardt
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 392
- Kategorie
- Informatik
Inhaltsverzeichnis
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242