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Weise auf Kunst und Religion als Kontrastfolie anspielt, ohne genau zu erläutern,
wie das Oberfläche/Tiefe-Verhältnis seines Erachtens in diesen Bereichen be-
stimmt wurde. Diffizil ist dies nicht zuletzt deshalb, weil die Oberflächen- und
Tiefen metaphorik eine lange Geschichte hat, die erstens über die von Luhmann
erwähnten Traditionen hinausweist und in deren Verlauf zweitens das Verhältnis
dieser beiden Ebenen zueinander immer wieder neu bestimmt wurde.14 Infolge des
platonischen Idealismus ließen sich Philosophie und Wissenschaften Thomas Rolfs
metapherngeschichtlicher Analyse zufolge »bald zu einem Enthusiasmus der Tiefe,
bald dagegen zu einem ›Lob der Oberflächlichkeit‹ hinreißen« (Rolf 2007: 460).15 Die
relationale Bestimmung der Oberflächen- und Tiefenmetaphorik basiert dabei auf
einer »Wertpolarisierung« (Rolf 2007: 461), die entweder als Tiefen- oder als Ober-
flächenorientierung zum Ausdruck kommt.
Daher erweist sich der Verweis auf Kunst und Religion als relativ wenig aussage-
kräftig, um das Verhältnis von Oberfläche und Tiefe im Computer präzisieren. Den
einzigen vagen Anknüpfungspunkt bietet folgende kurze Erläuterung Luhmanns:
»Es geht nicht mehr um die Lineaturen, die eine Weissagung ermöglichen, und
nicht mehr um Ornamente, die Bedeutungen unterstreichen« (Luhmann 1998: 304).
Diesem erklärenden Hinweis zufolge ging es in Religion und Kunst gewöhnlich
darum, Einsicht in eine hinter den wahrnehmbaren Erscheinungen liegende Wahr-
heit (eine tiefere Bedeutung, den Willen Gottes, kommende Ereignisse etc.) zu er-
langen (siehe auch Baecker 2001: 599). Ausgehend von der Oberfläche sucht man
in der Kunstbetrachtung und der religiösen Weissagung nach einer bedeutsamen
Tiefe. Die Erscheinungen an der Oberfläche dienen als Anzeichen, die in eine be-
stimmte Tiefe weisen.16 Es ist in diesem Zusammenhang unerheblich, ob Luhmanns
14 | Weiterer Gebrauchskontext der Oberflächen und Tiefenmetaphorik ist die Phi-
losophie: »Die Metapher der Tiefe ist seit den Anfängen im Diskurs der Philosophie
verankert – so fest, daß man beinahe von einer Wahlverwandtschaft zwischen philo-
sophischer Reflexion und geistigem Tiefgang [...] sprechen kann« (Rolf 2007: 458).
15 | Platon war nach Ansicht von Rolf der Erste, der sich umfassend der Oberflächen-
und Tiefenmetaphorik bediente, um zwei Wissensdomänen voneinander zu un ter-
scheiden: »Einerseits die auf empirischer Erkenntnis basierende sinnliche Gewiß-
heit, andererseits die theoretisch-geistige Schau der Ideen. Gemäß der platonischen
Orthodoxie verbleibt das Wissen an der Oberfläche, wenn es sich an die Welt der
Sicht barkeiten hält und den Schwankungen und Wandlungen der genuin flüchtigen
Erscheinungen folgt [...]. In die Tiefe dagegen verläuft der Erkenntnisweg, sofern
er die intelligiblen Formen des Seienden vor dem geistigen Auge versammelt und
syste ma tisiert« (Rolf 2007: 459).
16 | Dass die Rückführung des an der Oberfläche Sichtbaren auf die in der Tiefe
liegende Wahrheit letztlich immer eine Lektüre impliziert, die insbesondere in der
Religion nur durch Kompetenzzuschreibungen legitimiert wurde, spielt bei Luhmann
keine Rolle. Deshalb wird dieser Aspekt im Folgenden auch vernachlässigt. Deutlich
wird hieran aber die interpretative Offenheit des gewählten Beispiels. Wer dies in
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Titel
- Digitale Datenbanken
- Untertitel
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Autor
- Marcus Burkhardt
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 392
- Kategorie
- Informatik
Inhaltsverzeichnis
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242