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Digitale
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Kulturtechniken vollbrachte Entsemantisierungsleistung betont wird, dann können
Information Retrieval-Systeme im Besonderen und Datenbanken im Allgemeinen
als Kulturtechnologien des Speicherns und Findens begriffen werden (vgl. Krämer
2003b: 169f.).39
Im Anschluss hieran ist es eine Aufgabe der medienkulturwissenschaftlichen
Auseinandersetzung mit digitalen Datenbanken, die unterschiedlichen Formen
und Strategien der Übersetzung von Bedeutung in syntaktische Strukturen sowie
die verschiedenen Modi der computertechnischen Verarbeitung von Semantik
als Syntax freizulegen und zu analysieren. Das Versehen von Dokumenten mit
deskriptiven Markierungen stellt in diesem Zusammenhang nur eine Möglich-
keit dar, wie Semantik jenseits semantischer Interpretationsprozesse verarbeitet
werden kann. Die Speicherung von Daten in bestimmten Strukturen, wie z.B.
in Tabellen, ist eine andere Form der Übersetzung semantischer Informationen
in Syntax. Auch Algorithmen können eine solche Übersetzung vollziehen. Die
Regeln, gemäß denen die Übertragung zwischen den beiden Ebenen vollzogen
wird, sind dem Computer jedoch äußerlich und stellen zunächst nur Hypothesen
dar, die einer experimentellen Überprüfung bedürfen, welche die Brauchbarkeit
für Menschen und nicht ein wie auch immer geartetes Verstehen durch Computer
zum Gradmesser nimmt. Hierauf weist Mooers hin, wenn er darauf insistiert, dass
bei der Entwicklung von Information Retrieval-Systemen weniger die Maschinen,
als vielmehr die menschlichen Nutzer zentral seien: »At all times, one should
remember that the human customer who uses the information retrieval system is
the one who must be served, and not the machine« (Mooers 1960: 229). Auch in
dieser Hinsicht weist die Konzeptualisierung des Information Retrieval Parallelen
zu Krämers Kulturtechnikkonzept auf. Kulturtechniken bewirken, so Krämer,
nicht nur eine »Aufspaltung von ›Operation‹ bzw. ›Konstruktion‹ einerseits und
›Interpretation‹ andererseits« (Krämer 2003b: 169), sondern auch eine Entkopplung
von Rezept- und Begründungswissen, d.h. »das Wissen, wie eine Aufgabe zu lösen
ist, [trennt sich, M.B.] vom Wissen, warum diese Lösung ›funktioniert‹« (Krämer
2003b: 170). Mit anderen Worten: Die Begründung ist der Lösung nicht intrinsisch,
weshalb externe Kriterien über den Erfolg oder Misserfolg von kulturtechnischen
Operationen entscheiden und nicht die dem routinemäßigen Vorgehen inhärente
Funktionslogik. Um mit semantischen Informationen in nicht-semantischen kul-
turtechnischen Routinen umzugehen, bedarf es demzufolge keines Verstehens
von Bedeutungen. Das interpretative Verständnis des Gehalts von Informationen
bleibt den Verfahrensweisen äußerlich: »[S]emantic knowledge is needed only at the
very beginning of communication. Once translation rules have been established it
becomes irrelevant« (Fairthorne 1961 [1953]: 24f.).
39 | An dieser Stelle wird das weite Verständnis von Datenbanken zugrunde gelegt,
wie es im vorangegangenen Kapitel »Datenbank« (S. 120ff.) dargestellt wurde, d.h.
Datenbank = Daten + Zugriff.
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Titel
- Digitale Datenbanken
- Untertitel
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Autor
- Marcus Burkhardt
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 392
- Kategorie
- Informatik
Inhaltsverzeichnis
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242