Page - 174 - in Digitale Datenbanken - Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
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Digitale
Datenbanken174
Kulturtechniken vollbrachte Entsemantisierungsleistung betont wird, dann können
Information Retrieval-Systeme im Besonderen und Datenbanken im Allgemeinen
als Kulturtechnologien des Speicherns und Findens begriffen werden (vgl. KrÀmer
2003b: 169f.).39
Im Anschluss hieran ist es eine Aufgabe der medienkulturwissenschaftlichen
Auseinandersetzung mit digitalen Datenbanken, die unterschiedlichen Formen
und Strategien der Ăbersetzung von Bedeutung in syntaktische Strukturen sowie
die verschiedenen Modi der computertechnischen Verarbeitung von Semantik
als Syntax freizulegen und zu analysieren. Das Versehen von Dokumenten mit
deskriptiven Markierungen stellt in diesem Zusammenhang nur eine Möglich-
keit dar, wie Semantik jenseits semantischer Interpretationsprozesse verarbeitet
werden kann. Die Speicherung von Daten in bestimmten Strukturen, wie z.B.
in Tabellen, ist eine andere Form der Ăbersetzung semantischer Informationen
in Syntax. Auch Algorithmen können eine solche Ăbersetzung vollziehen. Die
Regeln, gemÀà denen die Ăbertragung zwischen den beiden Ebenen vollzogen
wird, sind dem Computer jedoch Ă€uĂerlich und stellen zunĂ€chst nur Hypothesen
dar, die einer experimentellen ĂberprĂŒfung bedĂŒrfen, welche die Brauchbarkeit
fĂŒr Menschen und nicht ein wie auch immer geartetes Verstehen durch Computer
zum Gradmesser nimmt. Hierauf weist Mooers hin, wenn er darauf insistiert, dass
bei der Entwicklung von Information Retrieval-Systemen weniger die Maschinen,
als vielmehr die menschlichen Nutzer zentral seien: »At all times, one should
remember that the human customer who uses the information retrieval system is
the one who must be served, and not the machine« (Mooers 1960: 229). Auch in
dieser Hinsicht weist die Konzeptualisierung des Information Retrieval Parallelen
zu KrÀmers Kulturtechnikkonzept auf. Kulturtechniken bewirken, so KrÀmer,
nicht nur eine »Aufspaltung von âșOperationâč bzw. âșKonstruktionâč einerseits und
âșInterpretationâč andererseits« (KrĂ€mer 2003b: 169), sondern auch eine Entkopplung
von Rezept- und BegrĂŒndungswissen, d.h. »das Wissen, wie eine Aufgabe zu lösen
ist, [trennt sich, M.B.] vom Wissen, warum diese Lösung âșfunktioniertâč« (KrĂ€mer
2003b: 170). Mit anderen Worten: Die BegrĂŒndung ist der Lösung nicht intrinsisch,
weshalb externe Kriterien ĂŒber den Erfolg oder Misserfolg von kulturtechnischen
Operationen entscheiden und nicht die dem routinemĂ€Ăigen Vorgehen inhĂ€rente
Funktionslogik. Um mit semantischen Informationen in nicht-semantischen kul-
turtechnischen Routinen umzugehen, bedarf es demzufolge keines Verstehens
von Bedeutungen. Das interpretative VerstÀndnis des Gehalts von Informationen
bleibt den Verfahrensweisen Ă€uĂerlich: »[S]emantic knowledge is needed only at the
very beginning of communication. Once translation rules have been established it
becomes irrelevant« (Fairthorne 1961 [1953]: 24f.).
39 | An dieser Stelle wird das weite VerstÀndnis von Datenbanken zugrunde gelegt,
wie es im vorangegangenen Kapitel »Datenbank« (S. 120ff.) dargestellt wurde, d.h.
Datenbank = Daten + Zugriff.
Table of contents
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Ăber Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen OberflÀche und Tiefe 73
- PhÀnomeno-Technische Konfigurationen 75
- SpielrÀume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: BegriffsklÀrung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen fĂŒr DatenunabhĂ€ngigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242