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Digitale
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An dieser Stelle lohnt sich ein Rückblick auf die These von Lev Manovich, die
Datenbank fungiere als symbolische Form der digitalen Medienkultur. Manovich
versteht die Datenbank in erster Linie als Gegenmodell von und Voraussetzung für
Erzählungen im Zeitalter digitaler Medientechnologien. Seine Analyse beschränkt
sich, wie im Kapitel »Datenbank« bereits kritisch angemerkt wurde, jedoch weit-
gehend auf die Oberfläche verschiedener Benutzerinterfaces. Demgegenüber erlaubt
es die Betrachtung der ANSI/X3/SPARC-Datenbankarchitektur, den Prozess der
symbolischen Formung in den Blick zu nehmen, der sich in, mit und durch digitale
Datenbanken im engeren Sinn von DBMS vollzieht.
Die Drei-Ebenen-Datenbankarchitektur als Metamodell der Informations-
modellierung in Datenbanken im Allgemeinen und das konzeptuelle Schema als
Medium (im doppelten Sinn von Mitte und Mittler) zwischen der internen Ver-
arbeitungslogik des Computers und den externen Gebrauchslogiken der Nutzer im
Besonderen strukturieren die Versammlung, Verwaltung, Abfrage und Auswertung
von Informationen in und mit Computerdatenbanken. Es handelt sich dabei
gleichermaßen um eine Weise der Herstellung »computer-lesbare[r] Signifikanz«
(Becker/Stalder 2009b: 8) wie um eine der Wirklichkeitserschließung, da das kon-
zeptuelle Schema festlegt, was im Rahmen einer Datenbank als Information zählt
und somit spezifiziert, welcher Ausschnitt der Wirklichkeit wie beschrieben werden
kann. In dieser Hinsicht kann das konzeptuelle Schema als eine jener »Formen des
Weltbegreifens und Weltverstehens« (Cassirer 1956 [1938]: 209) betrachtet werden,
die Ernst Cassirer in seiner Kulturphilosophie mit dem Begriff der symbolischen
Form konzeptualisiert und untersucht hat.
Cassirers Hinwendung zu symbolischen Formen kann als kulturwissenschaft-
liche Umdeutung von Kants kritischer Philosophie betrachtet werden, wie er in
der Einleitung zum ersten Band der Philosophie der symbolischen Formen heraus-
stellt (vgl. Cassirer 2001 [1923]: 8ff.). Anders als Kant fragt Cassirer jedoch nicht
nach den transzendentalen Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis über-
haupt, sondern versucht, unterschiedliche historisch wandelbare und kulturell be-
dingte Erkenntnisformen freizulegen, wie z.B. Sprache, Mythos, Wissenschaft und
Kunst. Cassirers kulturphilosophisches Projekt zielt auf eine »Phänomenologie der
Erkenntnis« (Cassirer 1956 [1938]: 208), wobei er den Erkenntnisbegriff explizit
nicht auf den Bereich des naturwissenschaftlich-mathematischen Wissens begrenzt
wissen will. Erkenntnis konstituiert für Cassirer vielmehr »jede geistige Tätigkeit,
in der wir uns eine ›Welt‹ in ihrer charakteristischen Gestaltung, in ihrer Ordnung
und in ihrem ›So-Sein‹, aufbauen« (Cassirer 1956 [1938]: 208). Entscheidend für
das Fragen nach und die Untersuchung von »verschiedene[n] ›Dimensionen‹ des
Erkennens, des Verstehens, des Denkens« (Cassirer 1956 [1938]: 208) ist die von
Kant übernommene Überzeugung, dass Erkenntnis kein bloßes Empfangen von
Gegebenem ist, sondern ein aktives Geschehen, dem Cassirer zufolge »eine ur-
sprünglich-bildende, nicht bloß eine nachbildende Kraft innewohnt« (Cassirer 2001
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Titel
- Digitale Datenbanken
- Untertitel
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Autor
- Marcus Burkhardt
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 392
- Kategorie
- Informatik
Inhaltsverzeichnis
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242