Page - 48 - in Arthur Schnitzler & Hermann Bahr - Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
Image of the Page - 48 -
Text of the Page - 48 -
48 dezember 1893
Künstlerisch ist es ohne Zweifel, weil es kann, was es will, und
ohneRestseineGefühle,seineAbsichtenformt.Fraglichmagesnur
scenisch sein, ob das literarisch unanfechtbare Werk auch theatrali-
15 sche Kraft hat. Es würde nicht schlechter, wenn sie ihm fehlt, weil
KunstundBühne,WerthundWirkungsichnichttreffenmüssen.Es
kann etwas sehr theatralisch und gar keine Kunst, und es kann sehr
künstlerisch und gar nicht Theater sein. Ja, wenn man den Räthen
derKennerglaubenmöchte,wieetwaderguteVaterSarceybiswei-
20 lenredet, scheinensieunversöhnlich.Künstlerisch ist jedesredliche
Bekenntnis einer Natur, das die rechte Sprache ihrer besonderen
Weise weiß. Theatralisch ist, was gefällt. Dort will Einer beichten.
Hier soll er wirken. Dort gilt, was Einer aus sich bringt. Hier gilt,
ob er es in den Hörer bringt. Kunst ist einsam, aber die Bühne will
25 dieLustder Menge.
Die Wirkung kann versagen, weil der Hörer den Stoff, der gewählt
wurde, oder weil er die Form, die gegeben wurde, nicht empfangen
will.DerStoffkanngegendasGefühl,gegendenGeschmack,gegen
dieGewohnheitderHörersein.OdererkannihrenWünschen,Trie-
30 ben und Bräuchen gemäß, aber in der Führung fremd und anders
und unverträglich sein. Stoff und Führung sind an jedem Stücke zu
prüfen.SieentscheidenseineKraft.
Als Thema wird im »Märchen« zuerst die Eifersucht gemeldet, die
Eifersucht auf die Vergangenheit der Geliebten. Das ist dem Sinne
35 derüblichenHörergeläufig.Ichgestehe,daßichandersfühle.Inder
Gegenwart mag ich es begreifen: es ist in der Natur der Liebe, daß
sienicht theilenwill; freilichkönntemanfragen,warumdenndann
noch keinen Liebhaber der Gatte genirt hat. Auch auf die Zukunft
fühle ich sie: der Gedanke ist in der That unerträglich, daß sie nach
40 mireinemAnderengehören,diesüßenWortesagenundnocheinen
Rest der Seele haben könnte, der nicht lange an mich vergeben und
von mir erschöpft wäre. Aber auf die Vergangenheit kenne ich sie
nicht, und das Hebbel’sche, daß darüber hinweg kein Mann kann,
warmir immereinphiliströsabsurdesWort: sie thutmirhöchstens
45 leid,daßsiedasPechhatte,mirnichtfrüherzubegegnen.Ichkönnte
auch zeigen, daß viele Künstler Frauen mit Vergangenheiten haben,
und ich habe oft, erst heuer wieder am Grundlsee, Bauern mit der
größtenRuheihresunbefangenenGemüthesüberdenerstenGelieb-
ten ihrer Geliebten, ihrer Frau gehört; so treffen sich hier die freie
50 MoralderGroßenunddiealteSittedesVolkes.Dochweißich,daß
die Menge der üblichen Hörer, die gerade im Theater entscheiden:
unsere bürgerliche Gesellschaft, hier anders empfindet. Ihr ist die
Eifersucht aufdieVergangenheitvertrautundunerläßlich.
Man darf also gegen dieses Thema nichts sagen. Es stimmt mit den
55 ForderungenderBühne.EstrifftdieMeinungderMenge.Esistthea-
back to the
book Arthur Schnitzler & Hermann Bahr - Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931"
Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Title
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Subtitle
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Editor
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Size
- 14.6 x 23.4 cm
- Pages
- 1010
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- 1891 7
- 1892 18
- 1893 31
- 1894 64
- 1895 91
- 1896 115
- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
- 1903 246
- 1904 288
- 1905 338
- 1906 371
- 1907 386
- 1908 401
- 1909 413
- 1910 433
- 1911 447
- 1912 463
- 1913 480
- 1914 492
- 1915 497
- 1916 502
- 1917 507
- 1918 510
- 1919 526
- 1920 536
- 1921 539
- 1922 547
- 1923 570
- 1924 583
- 1925 584
- 1926 585
- 1927 586
- 1928 588
- 1929 590
- 1930 593
- 1931 598
- 1932 604
- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
- Korrespondenzpartner 902
- Register 916