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dezember 1893 49
tralisch. Aber es konnte zwei Stücke geben. Der Dichter konnte es
doppeltführen, indemerentwederdieWerkedieserEifersuchtoder
denKampfgegensiezeigte.
Er konnte die Eifersucht der Vergangenheit am Werke zeigen; wie
60 etwa Othello die Eifersucht in der Gegenwart zeigt: er nahm dann
eine Liebe und ließ sie an der Vergangenheit des Mädchens verder-
ben,dieallmäligseiesgestanden,seiesverrathenwird;derSchmerz
des Mannes zwischen Leidenschaft und Ehre und die Buße der
Gefallenen waren da die Kräfte, die die Handlung trieben. Oder er
65 konnte einen Spötter gegen diese Eifersucht zeigen, der sich über
sie heben will, aber leidend von ihrem Rechte gezwungen wird;
er schrieb dann das Stück, das Gaston Salandri als »LeGrappin«
geschriebenunddiePariserFreieBühnegespielthat,dieGeschichte
des Herrn Jacques Privat, der das Vorurtheil verachtet und sich mit
70 seinerGeliebtenvermält,obwohlerweiß,daßsievor ihmAnderen
gehörteund liederlich lebte;dawirdgezeigt,daßalleLiebedieVer-
gangenheitnichttilgen,nichtverwischenkann, ja,durchdietausend
StichederNerven,desGemüthesunddieKränkungenderEhresich
inZorn,Ekel,Haßverwandelnmuß.MitdemerstenStückegehtder
75 Hörer, auch wenn er diese Eifersucht nicht hat, weil er sich doch
ausAndereninsiedenkenkann.Mitdemzweitenkannergegendas
Vorurtheil, das ja von dem Helden bestritten, und er kann für das
Vorurtheilmit ihmgehen,dasdochschließlichbestätigtwird.Er ist
Beidenempfänglich.
80 Aber hier geschieht das Eine nicht, und es geschieht nicht das
Andere. Das »Märchen« ist zwischen den zwei möglichen Stücken.
Esspringtausdemzweiten,wieesbeginnt,unvermuthetdannplötz-
lich ins erste. Herr Fedor Denner, der die schöne Fanny Theren
liebt, scheintanfangsderMeinung jenesFranzosen,daßdieLeiden-
85 schaft nicht nach der Vergangenheit fragt, gegen die übliche Moral,
gegendasthörichte»MärchenvondenGefallenen«,gegendenDün-
kel des Mannes, »Unnatürliches vom Weibe zu fordern und eine
zu verachten, weil sie gewagt, zu lieben, bevor wir um ihre Liebe
warben«. Das klingt sehr tapfer. Aber es dauert nicht. Nicht als
90 ob ihn etwa Erfahrung anders stimmen, besser lehren, überführen
würde, sondern er versagt und muß plötzlich merken, daß er bei
allen vermeintlich eigenen Gedanken genau wie die Anderen fühlt,
in der Schablone, an der Krücke der Väter. Sein Gefühl hat nicht
den Muth seines Verstandes. Er empfindet hinter seinen Begriffen.
95 So wird nicht gezeigt, daß das Vorurtheil Recht hat. Es wird auch
nichtgezeigt,daßseineMeinungrechthat.Eswirdnurgezeigt,daß
ergarnichtseinegeprieseneMeinung,sonderngeradedasverhöhnte
Vorurtheil hat.
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Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Title
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Subtitle
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Editor
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Size
- 14.6 x 23.4 cm
- Pages
- 1010
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
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- 1932 604
- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
- Korrespondenzpartner 902
- Register 916