Page - 52 - in Arthur Schnitzler & Hermann Bahr - Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
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52 dezember 1893
den Lauf der Scenen treibt. Ihnen gilt es die ganze, volle Wahrheit
ohne Rest und Makel. Ihm gilt es rasche, reiche und verschlungene
Fabel.Sokannersienichtverstehen,undsiekönnenihnnichtgewin-
nen.Erdeutet ihreZeichenfalschundwirdirre.WasaufderBühne
190 geschieht, verzeichnet er und denkt: »Aha, das muß man sich mer-
ken–dassolloffenbaraufeineWendungdeuten,diespäterkommen
wird!« Und er wird verführt und wartet jetzt und wartet umsonst,
verdrießlich, wenn dann nichts mehr folgt, weil sie ja nicht, wie er
meint,dieMitteldernächstenWirkungenrüsten,sondernblos,was
195 ernichtgewohntist,ganzeMenschenmitallenNotengebenwollen.
So kennt er sich schließlich gar nicht mehr aus, was denn das Alles
überhaupt soll, und zürnt dem Dichter, daß er kein Kadelburg ist.
EsmagnocheineguteWeilebrauchen,bisdiesezögerndeGewohn-
heit der trägen Hörer durch verwegene Neuerung gebrochen und
200 erzogenwird.
Diese Dinge schwächen die Wirkung des Stückes. Es ist nicht etwa
ein untheatralisches Werk der reinen Literatur – so ein künstleri-
sches Buch, das auf der Bühne versagt. Es hat theatralische Kräfte.
Aber es übt sie in einer fremden, ungewohnten neuen Art, die die
205 liebenaltenSittenstörtundeineandereBildungderHörerverlangt.
Es sucht seine eigenen Zeichen, das öde Einerlei zu brechen und
kühne Formen zu gewinnen. Es ist ein tapferes Experiment. Wer
eine Verjüngung der Bühne wünscht, muß es dankbar grüßen und
seine Fehler sogar lieben, weil sie die Mühe des Nächsten kürzen.
210 Wer freilich an der Schablone klebt und keinen Wechsel der Schön-
heitduldet,verdientesgarnicht.SoscheidetesimParterredieBöcke
vondenSchafen.i
Mir thut nur leid, daß ich heute nicht Maximilian Harden bin. Ich
bedaure, daß es nicht meine Sache ist, das Publicum zu recensiren.
215 Es wäre nur billig, daß, wer die Schauspieler oben richtet, auch die
Hörer unten züchtigen darf, wenn sie an der Kunst sich versündi-
gen,undichwürde ihnennetteDingesagen.DieSchwärmerfürdie
»Palastrevolution«, die sich plötzlich kritisch fühlen, die Bewunde-
rerdes»Mauerblümchen«,diesichplötzlichsittlichfühlen!Unddie
220 »gemüthlichen« Wiener, die alles, nur Talent nicht vertragen, ver-
dienten ihrenJuvenal redlich.
Aber zwei Acte lang durfte der Neid sich nicht regen. Zwei Acte
siegte der Dichter. Da stand schirmend die Sandrock neben ihm,
wie mit dem hellen Schwerte neben guten Helden die kluge Pallas
225 Athene. Ich habe sie immer bewundert und ich habe es oft gesagt.
HeutefehltmirdieRede.Esklängeüberschwänglichundwäredoch
nüchtern, grob und stumpf neben meiner Ergriffenheit, meinem
Taumel,meinerseligenLäuterungderSeele.Wennsoeinemfrivolen,
verdorbenenundnichtigenScribenteneinmaleinpaarMinutenlang
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Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Title
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Subtitle
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Editor
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Size
- 14.6 x 23.4 cm
- Pages
- 1010
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- 1891 7
- 1892 18
- 1893 31
- 1894 64
- 1895 91
- 1896 115
- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
- 1903 246
- 1904 288
- 1905 338
- 1906 371
- 1907 386
- 1908 401
- 1909 413
- 1910 433
- 1911 447
- 1912 463
- 1913 480
- 1914 492
- 1915 497
- 1916 502
- 1917 507
- 1918 510
- 1919 526
- 1920 536
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- 1923 570
- 1924 583
- 1925 584
- 1926 585
- 1927 586
- 1928 588
- 1929 590
- 1930 593
- 1931 598
- 1932 604
- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
- Korrespondenzpartner 902
- Register 916