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dezember 1893 59
man nicht leben und nicht sterben kann. Das ist preussisch, aber
sonst leitenandereKlassenheutedenGeist.Esistnichtvonmorgen.
Er hat Verdienste um sein Volk, weil er auf die Bühne, die dort in
45 der Gewalt von Spekulanten war, wieder Ernst und Würde brachte.
AberdemgrossenWerkederZeit,eineneueNationderEuropäerzu
stiften,hilfternicht.Erbleibt imKreiseseinerGeburt, indenWün-
schen,Leiden,HoffnungenvonPreussen.Gesichte indieWeitefeh-
len.DaswarimmermeineMeinung.Ichmagmichtäuschen,esmag
50 etwa doch noch ein geheimer Faden sein, der ihn an Europa hängt.
Undes hindert mich nicht, seine Künstlerschaft zu rühmen, weil er
etwas zu sagen hat und es zu sagen weiss. Er dient nicht den Lau-
nen und Lüsten der Menge. Er fragt nicht nach Gewohnheiten und
Bräuchen. Er folgt keinem Muster. Er horcht nach seiner Seele und
55 will ihreRührung gestalten.Er hatausFleissundEiferalleMittel.
Ich schwärme auch für das »Hannele« nicht. Es hat schöne Stellen
und ich liebe seinen Trieb, das Wirkliche mit Träumungen zu ver-
windenundüberdieNotzurSchönheitzudringen,dieheimlichim
Gemüte ist.Aberesbleibt leererWunschohneHilfe.DieKraftver-
60 sagt. Er kommt zur Begierde von Poesie. Aber er kann sie uns sich
nicht gewähren. Er will von der Erde der Gefangenschaft im Elend
fort. Aber er vermag keinen Himmel aus tröstlichen Gefühlen. Die
Worte reichen nicht an Glanz und Fülle und die edle Geberde der
Erlösung fehlt, die die bangen Sinne wünschen. So ruft er schliess-
65 lich den Maschinisten an, die Poesie zu geben, die er nur verlangen,
selbernicht schaffenkann.
Ich schätze Arthur Schnitzler sehr. Ich stelle Hoffnungen auf ihn.
ErgehörtindashalbeDutzend,dasdiedeutscheBühnefördern,aus
der Irre führen, zur Kunst bringen kann. Er ist ein Künstler. Er hat
70 seinen eigenen Ton, der wienerisch ist, aber an die neue Race über
denNationenstreift. So grüsse ichIhnherzlich.
Aber ich habe nicht verhehlt, dass das »Märchen« nicht gefallen
kann.Ichdachtedasgleich.ManmerkteesanjederScene.EsistLit-
teratur, aber es ist kein Theater, oder doch nicht Theater von heute.
75 Die üblichen Forderungen, die der übliche Hörer bringt, den übli-
chen Geschmack, die üblichen Sitten kränkt, verblüfft, empört es
gewaltsam.AlseinExperiment,Psychologiezuverbühnen,dasman-
chen Versuchen später helfen, viele Mühe kürzen, Irrungen sparen
mag,wirdeszählen. Aber es istkein»Stück«.
80 Ich habe gleich gedacht: Diese Werke werden fallen und der Hörer
hat Recht. Kunst und Bühne sind getrennt. Theater muss theatra-
lischsein.DerDramatikergleichtdemRedner.Esgenügtnicht,dass
der Redner eine gute Sache führt. Er muss sie gut zu führen wissen.
Ermusswirken.EinVerteidigerdesGutenkanneinschlechterRed-
85 ner, ein Verteidiger des Schlechten kann ein guter Redner sein. Es
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Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Title
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Subtitle
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Editor
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Size
- 14.6 x 23.4 cm
- Pages
- 1010
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
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- 1931 598
- 1932 604
- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
- Korrespondenzpartner 902
- Register 916