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oktober 1895 111
Keine denkt je daran, etwas für sich vom Leben anzusprechen, das
ihr allein und nur ihr und nicht der ganzen Kategorie zukommen
würde. Diese Mizzis und Christins fühlen sich nie als die Mizzi
70 oder die Christin, sondern nur so im ganzen als arme Mädchen,
geradewiejenejungenLeute,HerrFritzLobheimerundHerrTheo-
dor Kaiser, sich nie als der Fritz oder der Theodor, sondern immer
nur als Studenten, Praktikanten oder Lebemänner fühlen. Und so
fragen sie nicht, was kommen wird, geben sich der süßen Stunde
75 innig hin und werden jene lieben, so bequemen, niemals raunzen-
den Geschöpfe, die, wie der Theodor sagt, »zum Erholen da sind«,
immer lachen, auch wenn man gar keinen Witz macht, und nie sich
kränken, zu denen man »du Patsch« sagen darf und mit denen man
nichtvonder »Ewigkeit« sprechenmuss.
80 Unter das leichtsinnige Personal dieses recht österreichischen Krei-
ses lässtSchnitzlerplötzlichdasernsteSchicksal tretenunddazeigt
es sich denn, dass ihre beinahe türkische Ergebenheit und Demuth
ihnen gar nichts nützt und, wenn sich die Menschen auch noch so
klein und bescheiden machen, das Leben doch groß und furchtbar
85 bleibt. Der Fritz, der daneben auch mit einer Frau eine »Bandelei«
hat, wird von dem Gatten im Duell erschossen und nun thut sich
die ganze Verlogenheit dieser so gemüthlichen Existenzen auf: die
Liebelei endet, als ob sie eine Leidenschaft wäre, und das Mädchen,
die Christin, muss erfahren, wie wenig sie ihm gewesen; indem er
90 aneinerLügestirbt,wirdsie inne,dasssievoneinerLügegelebthat.
Sie war doch gar nichts für sich, sondern nur für ihn da: selber gar
kein Wesen, sondern nur seine Geliebte, nichts als seine Geliebte;
und nun wird es offenbar, dass sie auch das nicht war, nicht einmal
das. Sie hat nur von einer Beziehung gelebt und auch diese bildete
95 sie sich nur ein. Und so ist ihr ganzes Leben dahin! »Er ist für eine
anderegestorben!füreineFrau,dieergeliebthat–ihrMannhatihn
umgebracht! Und ich – was bin ich denn? Was war denn ich? Was
bin denn ich ihm gewesen?« Diese Klage hat einen so innigen und
echten Ton, dass man merkt, sie kommt dem Autor vom Herzen;
100 das sehr wienerische Elend, an dem Leben so daneben vorbeizule-
ben,hater, das vernimmtman,wohl ansichselbstgespürt.
Das Stück sagt also: »Seid selber etwas! Seid so viel, dass, wenn
man euch auch das Amt, die Liebe, alle Beziehungen nimmt, in
euch selber immer noch genug bleibt! Lebt, statt euch bloß leben
105 zulassen!«Daswirdvonihmsehrwahrundgerecht,auchmiteiner
freilichmehrfeuilletonistischenalsdramatischenAnmuthundnicht
ohne einen gewissen Geist gelehrt. Die Führung der Scenen ist oft
geschickt,glücklichesDetailergötzt,hübscheWortefehlennicht,es
isteinesaubere,anständigeundbraveArbeit,undsowäremannicht
110 abgeneigt, von Schnitzler zu sagen, was Laube einmal über Bauern-
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Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Title
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Subtitle
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Editor
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Size
- 14.6 x 23.4 cm
- Pages
- 1010
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- 1891 7
- 1892 18
- 1893 31
- 1894 64
- 1895 91
- 1896 115
- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
- 1903 246
- 1904 288
- 1905 338
- 1906 371
- 1907 386
- 1908 401
- 1909 413
- 1910 433
- 1911 447
- 1912 463
- 1913 480
- 1914 492
- 1915 497
- 1916 502
- 1917 507
- 1918 510
- 1919 526
- 1920 536
- 1921 539
- 1922 547
- 1923 570
- 1924 583
- 1925 584
- 1926 585
- 1927 586
- 1928 588
- 1929 590
- 1930 593
- 1931 598
- 1932 604
- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
- Korrespondenzpartner 902
- Register 916