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dezember 1900 185
kende Autor zur höchsten Entfaltung seiner Kräfte gelange. Jeder
Autor ist ja ein Capital, das das Publicum glücklich anlegen oder
schlecht verwalten kann. Was es trägt, kommt dem Publicum zu,
40 undwennesvergeudetwird,istdieStadt,istdasganzeLanddadurch
ärmer geworden. Es ist seltsam, daß bei uns die Behörden, welche
dengeistigenReichthum,dieöffentlicheKraftderNationzuverwal-
tenhätten,diesnichtzubemerkenscheinen,unddaßdasPublicum,
welches doch am Gedeihen oder Verderben der Talente unmittel-
45 bar betheiligt ist, eher eine gewisse Schadenfreude hat, jede Kraft
abzuschwächen. Ich habe neulich erzählt, wie sich, als Girardi den
engen Kreis liebenswürdig wienerischer Figuren verlassen wollte,
um höhere Aufgaben anzustreben, förmlich die ganze Stadt gegen
ihn verschwor, und leider scheint es Schnitzler bestimmt zu sein,
50 jetzt dasselbe zu erleben. Er strebt über seine Anfänge hinaus; er
fühlt, daß er mehr kann; er will nicht ruhen, bis er die großen Ent-
schlüsse,derener inreinenStundentheilhaftiggeworden,durchein
Werkerreichenwird.Mansolltemeinen:AlleOesterreichermüßten
dabei sein, ihm mit Leidenschaft zu helfen, es ihm zu erleichtern,
55 ihn wie einen Läufer vor dem Ziel durch Zuruf zu befeuern. Sein
Erfolg wird ja doch schließlich unser Ruhm sein: denn jedes Werk,
das Einem unter uns gelingt, dient zur Ehre des österreichischen
Namens, und je höher sich der Einzelne erheben darf, desto größer
stehen Alle vor den Nationen da. Bei uns aber sind Haß und Neid
60 so stark, daß wir uns lieber Alle erniedrigen, als es irgend Einem
zu gönnen, daß er zur Reife gelange. Das ist ja leider nichts Neues:
man lese über die Première von Bauernfeld’s »Fortunat« oder von
Grillparzer’s »Weh’ Dem, der lügt« nach – immer haben sich die
OesterreichermitErfolgbemüht, jedesTalentanseinerganzenEnt-
65 faltung zu verhindern, bis es klein und scheu geworden ist und sich
inseinem nächstenKreisebeschiedenhat.
SchnitzlerhätteeinVirtuosewienerischerZierlichkeitundZärtlich-
keit werden können. Es hat ihm nicht genügt. Er hat sich edlerer
Aufgaben würdig und fähig gefühlt. Er hat um sie mit reiner Lei-
70 denschaft gerungen. Er hat sie endlich in einem Werke erfüllt, das,
künstlerisch und menschlich, Alles weit übertrifft, was er jemals
geschaffen. Und siehe da, auf einmal geht Alles gegen ihn los, er
sieht sichvonSpottundBosheitumringt, es istgeradezu,alswollte
man sich an ihm rächen, als könnte man es um keinen Preis dulden,
75 daß Einer unter uns groß wird. Läßt er sich aber ducken, gibt er
nach und verzichtet auf sich selbst, dann werden dieselben Leute,
diejetztgegenihnhetzen,hochmüthigbedauern,erhabedochnicht
ganzgehalten,waserversprochen,undseidochzurvollenEntwick-
lung nicht gekommen. Es ist schon ein Vergnügen, in Oesterreich
80 einDichterzusein.
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Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Title
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Subtitle
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Editor
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Size
- 14.6 x 23.4 cm
- Pages
- 1010
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- 1891 7
- 1892 18
- 1893 31
- 1894 64
- 1895 91
- 1896 115
- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
- 1903 246
- 1904 288
- 1905 338
- 1906 371
- 1907 386
- 1908 401
- 1909 413
- 1910 433
- 1911 447
- 1912 463
- 1913 480
- 1914 492
- 1915 497
- 1916 502
- 1917 507
- 1918 510
- 1919 526
- 1920 536
- 1921 539
- 1922 547
- 1923 570
- 1924 583
- 1925 584
- 1926 585
- 1927 586
- 1928 588
- 1929 590
- 1930 593
- 1931 598
- 1932 604
- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
- Korrespondenzpartner 902
- Register 916