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208 juni 1901
seine beiden Grundbestandtheile zu einander stellen. Anfänglich
überwiegtganzunzweifelhaftdas, ausderReisefabulistikübernom-
mene,reinstofflicheElement(AntoniusDiogenes).Estrittaberbald
mit der ihm beigestellten Erotik in einen engeren, durch die rhe-
115 torische Darstellung vermittelten Bund (Jamblichus); es muß sich,
bei Heliodor, gefallen lassen, zur Illustrirung eines tiefer liegen-
den Sinnes zu dienen; es wird, bei Xenophon von Ephesus, seiner
selbständigen Bedeutung ganz entkleidet, um einzig der erotischen
Erzählung zum belebten Hintergrunde zu dienen; es wird endlich,
120 in dem Mosaik rhetorischer und polyhistorischer Studien, aus wel-
chem Achilles Tatius seinen Roman zusammensetzt, so gut wie das
erotische Element und das Allerlei der trödelhaften Kenntnisse des
AutorszumbloßenStoffseinergeschmacklosenstylistischenKunst-
stückeherabgesetzt.«
125 Also: die Gattung des Romans entsteht überhaupt erst durch die
Verbindung zweier Elemente, des Erotischen mit einer »abenteu-
erlichen Reisepoesie«. Der Roman entsteht, um einen besonderen
Fall der Liebe zu zeigen, aber nicht für sich allein, abgelöst von der
Welt,wieesdieerotischeLegendegethan,sonderninmöglichststar-
130 kenBeziehungenaufdasseltsameundbunteTreibenderMenschen.
DieDarstellungeinererotischenBegebenheit inderBreitedersinn-
lichen Welt macht das Wesen des griechischen Romans aus. Und
dabei ist es eigentlich immer geblieben; nur daß die Autoren später
ihr Paar nicht erst in fremde Länder reisen lassen, sondern im eige-
135 nendasFremdeundSeltsamezufindenwissen,dassiebrauchen,um
dieWeitedesLebensauszudrücken,vonwelchersichderbesondere
Fall abheben soll. Ein Liebesfall und die weite Welt – das sind die
zweiElementeallerRomane,diewirschließlich im»WilhelmMeis-
ter« und in den »Wahlverwandtschaften« wie in der »Manon« und
140 der »Madame Bowary« finden. Die Entwicklung hat nur gesucht,
ihre Verbindung, die anfangs, nach Rhode, »eine ganz mechanische
von zwei disparaten Theilen« war, allmälig so zu vergeistigen, daß
sie eine organische wurde. Diese Forderung, die wir heute stellen,
machtdeneinzigenUnterschiedzwischendemgriechischenRoman
145 unddemmodernenaus.Dassollnungewißnichtheißen,daßesuns
verboten wäre, den Roman abzuändern und einmal einen zu versu-
chen,inwelchemeinesderbeidenElementefehlt.Gattungenändern
sichinderEntwicklung,undeswirdmanchmalgewünscht,deralten
Form einen neuen Inhalt zu geben. Aber dann sage man: Wir wol-
150 lenkeineRomanemehr;odermansage:WirwolleneineneueForm
des Romans, ohne das erotische Element, welches wir so oder so
zuersetzengedenken.ManschreieabernichtüberEntartung,wenn
unsere Autoren sich in ihren Romanen an das Erotische halten, das
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Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Title
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Subtitle
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Editor
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Size
- 14.6 x 23.4 cm
- Pages
- 1010
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- 1891 7
- 1892 18
- 1893 31
- 1894 64
- 1895 91
- 1896 115
- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
- 1903 246
- 1904 288
- 1905 338
- 1906 371
- 1907 386
- 1908 401
- 1909 413
- 1910 433
- 1911 447
- 1912 463
- 1913 480
- 1914 492
- 1915 497
- 1916 502
- 1917 507
- 1918 510
- 1919 526
- 1920 536
- 1921 539
- 1922 547
- 1923 570
- 1924 583
- 1925 584
- 1926 585
- 1927 586
- 1928 588
- 1929 590
- 1930 593
- 1931 598
- 1932 604
- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
- Korrespondenzpartner 902
- Register 916