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236 mai 1902
325 Schmerzen,Allesstellenwiraus!Pfui!Pfui!Michekelt javormir!«
Da kommt der Graf zurück und erklärt resolut, daß schon Alles in
Ordnung ist: er hat mit Künigel abgemacht, daß ihr Roman einge-
stampft wird, bis auf ein einziges Exemplar, das er ihr mitbringt –
siewollenes jetztgleichzusammenlesen.ErnimmtdasBuch, setzt
330 sich,schlägtesauf.Daergreiftsiees,wirftesinsFeuerundlehntsich
an ihn: »Clemens,wirstDu mir jetztglauben,daß ichDich liebe?«
Aber nun kommt das Publicum und verlangt, daß wir ihm sagen
sollen, was der Dichter denn mit diesen Stücken sagen will. Darauf
ist zu antworten: Wenn wir es könnten, wäre er keiner. Sein Amt
335 ist es eben, uns durch seine Worte mehr fühlen zu lassen, als mit
Worten ausgesprochen werden kann. Jeder Gedanke wird, wenn er
ausgesprochen wird, eigentlich schon deformirt, weil das Wort ihn
abschließt und begrenzt. »Sobald man spricht, beginnt man schon
zuirren,«heißtes.Unddas istesgerade,wasderDichtervermeidet,
340 indem es ihm gegeben ist, seine Gefühle zugleich höchst bestimmt
und doch höchst fragwürdig darzustellen. Die vier Stücke regen
tausend Gedanken und Gefühle in uns auf, aber so, daß jeder und
jedessogleichvomnächstengelindertundverwandeltwird.Istnicht
abscheulich, was die Künstler thun? Sie treten nackt vor das Publi-
345 cum hin! Statt zu leiden und sich zu freuen, horchen sie sich aus
und machen darüber ein Stück, ein Bild! Ist das Leben nicht mehr,
als jemals ein Werk sein kann? Eine lebendige Stunde nicht mehr
als alle Gedichte und alle Gemälde der Welt? Ja, aber wer lebt sie
dennje,die lebendigenStunden?Werdensienicht immererst inder
350 Erinnerung lebendig? Sind sie es, im Gedichte, im Gemälde ausge-
drückt,nichtmehr, als siees, erlebt, jemals seinkönnen?Lebenwir
nichtvielleichtüberhauptnur,wennwirschaffen?WelcheinLeben
aber, das so viel zerstört! Doch wo wäre ein Leben, das nicht zer-
stört? Und was heißt leben endlich, was heißen alle Gewalten des
355 Lebens, Liebe, Haß, Neid, die uns treiben und doch in nichts zer-
fallen, wenn uns der Tod antritt! Wie verblaßt da jeder Schein, der
uns gelockt oder gequält hat, in der Stunde des Todes! Ist sie nicht
vielleicht die einzige wahrhaft lebendige Stunde? »Und so lang’ Du
dasnichthast,dieses:Stirbundwerde!,bistDunurein trüberGast
360 aufder dunklenErde.«
UnterdenDarstellern istzuerstHerr BassermannderdenRemi-
giovielleichtnichtmitderganzenHoheit,welchedieRolleverlangt,
den Dichter Weihgast vortrefflich, nur vielleicht um einen Grad zu
deutlichinderIronie,denGrafenCle[mens]abereinfachprachtvoll
365 gab und dabei eine ganz außerordentliche Kraft der Verwandlung
bewies, und neben ihm gleich Fräulein Triesch zu nennen, die,
seit wir sie zuletzt, vor drei Jahren, im Raimund-Theater sahen,
merkwürdig reif und stark im Ausdruck geworden ist. Die Herren
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Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Title
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Subtitle
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Editor
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Size
- 14.6 x 23.4 cm
- Pages
- 1010
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- 1891 7
- 1892 18
- 1893 31
- 1894 64
- 1895 91
- 1896 115
- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
- 1903 246
- 1904 288
- 1905 338
- 1906 371
- 1907 386
- 1908 401
- 1909 413
- 1910 433
- 1911 447
- 1912 463
- 1913 480
- 1914 492
- 1915 497
- 1916 502
- 1917 507
- 1918 510
- 1919 526
- 1920 536
- 1921 539
- 1922 547
- 1923 570
- 1924 583
- 1925 584
- 1926 585
- 1927 586
- 1928 588
- 1929 590
- 1930 593
- 1931 598
- 1932 604
- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
- Korrespondenzpartner 902
- Register 916