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332 dezember 1904
Sehnsucht, um durch sie das Leben selbst, dessen leere Lügen wir
nichtmehrertragen,ausunsumzuformen.DasLebenhältunsgeis-
tignicht,waswirvonihmfordern.AnunserenGedankengemessen,
ist es matt und dumpf. Und darum willst du dich aus ihm stehlen,
170 in den Winkel müßiger Entsagung? Weil es unserem Geiste nicht
gemäß ist, das soll mich bestimmen, es mit dem Geiste der Väter
zu versuchen? Wenn das Leben mir nicht gemäß ist, wer sagt dir
denn, daß ich darum mich ändern muß, statt es? Trauen wir uns so
wenig zu? Haben wir uns denn schon mit ihm gemessen? Wir wol-
175 lendochersteinmalsehen,werstärkerist:Wirmitunsererfreudigen
Sehnsucht nach der neuen Form einer starken, durchaus wahrhaf-
ten, leuchtendenExistenzininnererFreiheit,oderdieseshinfälligen
alten Lebens trister Widerstand! In Gedanken still beiseite, sozusa-
gen: auf dem anderen Ufer sein und höchstens manchmal lächelnd
180 herüberschauen,froh,daßmansichnochzurrechtenZeitgeflüchtet
und davor gesichert hat, das scheint jetzt oft der müde Wunsch dei-
nerMenschen.AbersolcheGedanken,dienurstill,mitgesunkenen
Händen, beiseite sitzen können, sind mir nichts und mich verlangt
nach kühneren, die die Kraft hätten, die Fäuste zu ballen und ins
185 Lebenzustreckenundesnichtzulassen,bisesunssegnenwird.Ich
denke jetzt so oft an deinen »Schleier der Beatrice«, an die schaurig
großeStimmnngjener letztenNacht,diedenblutigenBorgiaschon
vor den Toren weiß ... und morgen wird er kommen und mit ihm
kommt der Tod. Sind wir nicht selbst jetzt in solcher Nacht einer
190 Welt,diemorgenversinkt?Aberdawollenwirdochdiepaarletzten
Stunden,bevorderBorgiakommt,endlicheinmalnichtmehrentsa-
gen, nicht mehr uns fügen, nicht mehr nach dem Gebot der Väter
fragen, sondern nachholen, bevor es zu spät ist, und endlich nichts
alswirselbstseinund,denTodimLeibe,endlich,endlichleben!Ich
195 glaube nicht mehr, Arthur, daß Entsagung Reife ist. Ich glaube, sie
ist nur innere Schwäche. (Furcht von Menschen, die sich bewahren
wollen, weil sie noch nicht wissen, daß dies der Sinn des Lebens ist:
sich zu zerstören, damit Höheres lebendig werde.) Ich glaube, daß
dies weite Leben, das da draußen winkt, ungeheuer reich an wilder
200 SchönheitundverruchtemGlückist:eswartetnuraufeinengroßen
Räuber, der es zwingen wird. Ich glaube nicht mehr an die klei-
nen Tugenden des gelassen zuschauenden Geistes. Ich glaube nur
noch an die große Kraft ungestüm verlangender Leidenschaft. Und
ich glaube, daß einer von uns, gerade einer von uns, dies machen
205 muß,diesWerk,dasdie letzteNachteineraltenZeitenthaltenwird,
aus der schon in der Ferne, blutig froh, die Sonne der neuen bricht.
Mach’ du’s!
JarnogabdenPuppenspieler inseiner festenundsicherenArt,mir
fast ein bißchen zu fest und bestimmt: die Figur hat bei Schnitzler
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Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Title
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Subtitle
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Editor
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Size
- 14.6 x 23.4 cm
- Pages
- 1010
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- 1891 7
- 1892 18
- 1893 31
- 1894 64
- 1895 91
- 1896 115
- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
- 1903 246
- 1904 288
- 1905 338
- 1906 371
- 1907 386
- 1908 401
- 1909 413
- 1910 433
- 1911 447
- 1912 463
- 1913 480
- 1914 492
- 1915 497
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- 1931 598
- 1932 604
- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
- Korrespondenzpartner 902
- Register 916