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januar 1905 341
schaftlichen Ordnung wankend und fragwürdig und verbesserlich
geworden ist. Wenn sie freilich weniger ernst, aber dafür mit der
menschlichenNaturvertrauterwären,würdensiebegreifen,daßihr
45 vonaußenherniemalszuhelfenist,sondern,wieVetterHamletsagt,
aus »des Herzens Herzen« allein, und daß es darum doch eigent-
lich, um die Sehnsucht der Menschheit zu heilen, nur ein einziges
Problemgibt,nämlich:ihrenGeistundihrGemütsodurchErschüt-
terungaufzutreiben,daßihrdieGewalt, jedeFormderGewalt,ganz
50 unerträglich und alles, was bisher Ordnung hieß, unmöglich, aber
auch entbehrlich wird. Bis aber einer erst dahin gekommen ist, dies
ansichselbstzubegreifen, flickt jedergerneineZeitanden»Fragen
derGesellschaft« herum.
Das hat auch Schnitzler durchmachen müssen und daher hat sein
55 Stück eine so merkwürdige Haltung. Etwas sehr Entschlossenes
nämlich,demmandoch leiseden innerenZwanganhört.Wiewenn
jemand sehr eindringlich von einer Sache, deren Wichtigkeit er sich
nachdrücklichvorstellt,sprechenwill,abersichsehrzusammenneh-
men muß und Mühe hat, dabei zu bleiben, weil er sich insgeheim
60 immer an nähere Gedanken verliert, die stärker sind. Er beißt sich
auf die Lippen, um sich nicht merken zu lassen, wie zerstreut er ist:
denn dieses ganze Stück ist nur aus dem Verstande geholt, in seiner
Tiefe weiß er nichts davon, da bereiten sich still schon die schönen
Erfüllungen seiner Reife vor. Wozu vielleicht auch noch etwas
65 anderes kam. Mir will scheinen, als ob ich heraushören würde,
wie gern er als junger Mensch im Burgtheater gesessen ist. Die
Luft des alten Burgtheaters haucht mich hier an und in manchen
Szenenwirdmir fast, alsobsiemirdieHändedesHerrnHartmann
entgegenstreckenwürden.Wasunsgefällt, stecktunsunwillkürlich
70 an; was auf uns wirkt, dem möchten wir gleichen, und so wird, gar
inbildsamerJugend,unsere innereFormdurchäußereGewohnheit
oft mehr als von unserem Wesen bestimmt. Wir merkten es selbst
ja damals kaum, aber unwillkürlich nahm der Geist der jungen
Leute von 1890 doch immer die Gebärden des alten Burgtheaters
75 an, dieser sehr auserwählten, aber recht abgekühlten, niemals ganz
natürlichen, immer hochanständigen, gezügelten Kunst, die so
höflich war, immer artig an den Zuhörer zu denken. Sie benahm
sich stets, wie man tut, wenn im Zimmer ein großer Spiegel ist:
man verleugnet sich ja deswegen nicht, man bleibt natürlich, aber
80 doch anders natürlich, als man ist, wenn man sich nicht sieht. Man
weiß dann eben von sich, wie man wirkt, und wenn man sich
auch nun deshalb erst recht anstrengt, ungezwungen zu sein, so
wird es doch nur eine herablassende Ungezwungenheit, die jede
wahre Vertraulichkeit einsamer Gedanken entfernt. Herablassend,
85 leutselig, immer wie ein hoher Herr, der einmal im schlichten
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Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Title
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Subtitle
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Editor
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Size
- 14.6 x 23.4 cm
- Pages
- 1010
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- 1891 7
- 1892 18
- 1893 31
- 1894 64
- 1895 91
- 1896 115
- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
- 1903 246
- 1904 288
- 1905 338
- 1906 371
- 1907 386
- 1908 401
- 1909 413
- 1910 433
- 1911 447
- 1912 463
- 1913 480
- 1914 492
- 1915 497
- 1916 502
- 1917 507
- 1918 510
- 1919 526
- 1920 536
- 1921 539
- 1922 547
- 1923 570
- 1924 583
- 1925 584
- 1926 585
- 1927 586
- 1928 588
- 1929 590
- 1930 593
- 1931 598
- 1932 604
- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
- Korrespondenzpartner 902
- Register 916