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oktober 1905 363
10 zupfeifen. Karl August, der seinen Platz ... auf dem sogenannten
bürgerlichen Balkon hatte, bog sich über die Brüstung heraus und
rief: ›Wer ist der freche Mensch, der sich untersteht, in Gegenwart
meiner Gemahlin zu pfeifen? Husaren, nehmt den Kerl fest.‹ Dies
geschah ... und er wurde drei Tage auf die Hauptwache gesetzt.
15 Den anderen Tag soll Goethe gegen Riemer, der es mir mitteilte,
bemerkt haben: Der Mensch hat gar nicht so unrecht gehabt; ich
wäre auch dabei gewesen, wenn es der Anstand und meine Stellung
erlaubt hätten. Des Anstandes wegen hätte er eben warten sollen,
bis er außerhalb des Zuschauerraumes war.« Man weiß auch sonst,
20 daß Goethe in kein Verhältnis zu Kleist kommen konnte, an dem
ihm »die nordische Schärfe des Hypochonders und die Gewaltsam-
keit der Motive« unerträglich war. »Ich habe ein Recht,« hat er
einmal gesagt, »Kleist zu tadeln, weil ich ihn geliebt und gehoben
habe; aber sei es nun, daß seine Ausbildung, wie es jetzt bei vie-
25 len der Fall ist, durch die Zeit gestört wurde, oder was sonst für
eine Ursache zum Grunde liege; genug, er hält nicht, was er zuge-
sagt. Sein Hypochonder ist gar zu arg; er richtet ihn als Menschen
und Dichter zugrunde. Sie wissen, welche Mühe und Proben ich es
mirkostenließ,seinen›Wasserkrug‹aufshiesigeTheaterzubringen.
30 Daß es dennoch nicht glückte, lag einzig in dem Umstande, daß es
demübrigensgeistreichenundhumoristischenStoffeaneinerrasch
durchgeführten Handlung fehlt.« Und ähnlich ein anderes Mal zu
Riemer, sich über die eigensinnigen und eigenwilligen Neuen von
KleistsArtbeklagend:»Siemeinen,außerdemRechtengäbeesnoch
35 ein Rechtes, ein anderes Rechtes, das hätten sie. Wie wenn es außer
dem Schwarzen in der Scheibe noch eins gäbe, und da schießen sie
denn ins Blaue.« Womit er übrigens nur das allgemeine Gefühl sei-
nesganzenKreisesaussprach.SoschriebFräuleinv.Knebelanihren
Bruder:»EinfürchterlichesLustspiel,waswirebenhabenaufführen
40 seh’n und was einen unverlöschbaren unangenehmen Eindruck auf
mich gemacht hat, und auf uns alle, ist der ›Zerbrochene Krug‹ von
HerrnvonKleist inDresden,Mitarbeiterdescharmanten ›Phöbus‹.
Wirklichhätteichnichtgeglaubt,daßesmöglichwäre,sowasLang-
weiliges und Abgeschmacktes hinzuschreiben. Die Princeß meint,
45 daß die Herrens von Kleist gerechte Ansprüche auf den Lazarus-
Orden hätten. Der moralische Aussatz ist doch auch ein böses
Uebel.«KleistgabdasMißgeschickselbstzu,alser inden»Phöbus«
ein Fragment aus dem Stücke setzen ließ, mit der resoluten Bemer-
kung: »Da dieses kleine, vor mehreren Jahren zusammengesetzte
50 Lustspiel eben jetzt auf der Bühne von Weimar verunglückt ist ...«
Erkonntenurfreilichnichtahnen,daßesdabeibleibensollte:indem
sichdasStückallmählichimstillenimmerdankbarereLesergewann,
fuhr es im Theater bei den Zuschauern zu »verunglücken« fort.
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Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Title
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Subtitle
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Editor
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Size
- 14.6 x 23.4 cm
- Pages
- 1010
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
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- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
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- Register 916