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364 oktober 1905
Eigentlichbisheute.Laubeerzählt inseinemBurgtheater:»Nochin
55 einer anderen komischen Richtung versuchte ich das Repertoire zu
erweitern. In der Richtung nach Norden, möchte ich sagen. Hein-
rich v. Kleists ›Zerbrochener Krug‹ gehört ganz zur nordischen
Komik. – Heinrich v. Kleist stand lange auf der Senatorliste unse-
rer großen Poeten. Man meinte, es müsse alles dafür getan werden,
60 dem Publikum begreiflich zu machen, daß ihm einer der nächsten
Sessel nach Schiller und Goethe eingeräumt werde. Ich war selbst
dieser Meinung und hatte vor, all seine Dramen in Szene zu setzen.
Zuerst brachte ich den ›Zerbrochenen Krug‹, der hier nie gegeben
worden; eigentlich ohne Erfolg. Er erschien zu nordisch, zu kalt,
65 zu gedacht, zu abstrakt. Mehr Komik für den Denker, als für den
Zuschauer. Der Unterschied unserer deutschen Landsmannschaf-
ten zeigt sich da sehr deutlich. Die märkische Landsmannschaft,
zuwelcherKleistgehörte, findetdasStückchen ihremGeschmacke
zusagend, sie folgt ihm mit Behagen. Döring gibt auch den Dorf-
70 richterAdamvielcynischer, schärferundfrecheralsLaRoche,und
die Döringsche Charakteristik entspricht dem märkischen Grund-
tone. Die norddeutsche Komik steht eben der Kaustik viel näher,
als die süddeutsche. Aber auch im Norden mußte dieser durch die
Romantiker berühmt gewordene ›Krug‹ gestrichen werden bis auf
75 die Knochen. Er ist viel zu breit für die Szene. Und dem Süddeut-
schenisteinKörperohneFleischeinmißlichDing.«InWienhater
inderTateigentlichniemalsgewirkt.AuchinMünchennicht,sogar
bei Dingelstedts Mustervorstellungen von 1854 mit Döring kaum.
Eigentlich also nur in Berlin, so lange Döring den Dorfrichter gab.
80 Dannauchnichtmehr.Erstneulichnoch,alser imKleinenTheater
wieder versagte, hat Siegfried Jacobsohn verzeichnet, es habe sich
»die über alle Begriffe herrliche Komödie seit Dörings Tode auf
keiner Bühne behaupten können«. Warum? Ein von allen bewun-
dertes Stück, das überall durchfällt. Es muß doch einen Grund
85 haben. Laube spricht auch in seinem Stadttheater einmal über das
Stück. Und da sagt er einen sehr merkwürdigen Satz: »Selbst der
›Zerbrochene Krug‹, in der Schmidtschen Verkürzung von Döring
meisterhaft dargestellt in der Figur des Richter Adam, ist ganz sel-
tengeworden imRepertoire.Anderswohaternie festenFußfassen
90 können,weilmanseineKomik,dieKomikderVoraussetzungen,zu
spitz fand für die Bühne. Diese Komik bringt es mit sich, daß man
nachträglich lacht, im Theater aber will man auf der Stelle lachen.«
Dies scheint mir das Wesen der Kleistschen Charakteristik zu ent-
halten,welchersichderZuschauer, auchimTragischen, immererst
95 nachherdurchReflexionbemächtigenkann,währendesdramatisch
ist, sie uns unmittelbar aufzudrängen. Er braucht also Schauspieler,
diedemZuschauersogleichbringen,was ihmdieserDichter immer
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Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Title
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Subtitle
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Editor
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Size
- 14.6 x 23.4 cm
- Pages
- 1010
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- 1891 7
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- 1902 222
- 1903 246
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- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
- Korrespondenzpartner 902
- Register 916