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612 1962
»DieSchmetterlingsschlacht«vonHermannSudermann,demerfolg-
reichsten Theatraliker seiner Zeit, wird im Burgtheater zum ersten-
malaufgeführt–denFreundenerscheintsiealseinschwachesStück.
85 Nur Bahr – in welche Regionen mochte ihn seine eigene Phanta-
sie, seine innere Erlebniskraft an jenem Abend getragen haben! –
lobt »Die Schmetterlingsschlacht« über die Maßen, zieht sie allen
Stückender letztenJahrevorunderklärt,mangehemiteinerphilo-
sophischen Heiterkeit heim, die keinen Groll mehr gegen die Welt
90 erlaubt und Mut gibt, das Leben zu bestehen. Erbittert über so
vielUnverhältnismäßigkeitsagt ihmGustavSchwarzkopf,eineraus
demKreisderFreunde,denmanwegenseinerunbestechlich-klugen
Urteileschätzt, inseinemsuffisantenTon:»WohernähmenSiedenn
das Material zu Ihren Kritiken, wenn Sie nicht das genaue Gegen-
95 teil von allen andern sagten?« Diesen Schwarzkopf – Loris nennt
ihn»einenderbestenundunangenehmstenMenschen«–betrachtet
Bahrals seinenWidersacher,underhaßt ihnaus tiefsterSeele.
Wie sollte er auch einen solchen Menschen ertragen können, einen
nüchternen Skeptiker, der nur eine Sorge hat: sich an nichts zu
100 verlieren, auf nichts hineinzufallen, weder auf Gott noch auf die
sogenannte Liebe, noch auf den Frühling, von dem sich die Leute
jedes Jahraufsneuedüpieren lassen,nochaufdieHistorie.Wasgilt
ihm ein Wahrheitsfanatiker, dem sich jede lebendige Wahrheit ent-
zieht,wassoll ihmdiesehochmütigeSelbstbewahrungohneImpuls
105 und ohne Auftrieb, was geht ihn dieser Mensch an, der unbewegt,
wie mit blinden Augen in eine entseelte Welt starrt, ein Wesen, in
demkeinBekennenistundkeineSchuld,weilerniehingerissenden
ganzen Einsatz wagt?! So sehr ist Bahr von Widerstand erfüllt, daß
eraufbraust,alsSchnitzlerdieanständigeGesinnungSchwarzkopfs
110 rühmend hervorhebt. Wertlos sei diese feige blutarme Korrektheit;
ein wahrer lebendiger Mensch hätte tausendmal mehr recht, selbst
wennereinmalirre,alsdermitseinerplattenRechthaberei! ...»und
wennnächstensderBurckhardwasschlechtmacht«–dennandem
Leiter des Burgtheaters nörgelt Schwarzkopf besonders herum wie
115 an jeder echten Natur – »so lob’ ich ihn justament, das wirst du
sehen, nur um den Schwarzkopf zu ärgern!« – »Und du willst ein
Kritikersein?«i erwidertSchnitzler.»Dubegnügstdichebendamit,
eine Individualität zu sein« – und nun wirft er ihm alles vor, was er
gegenihnaufdemHerzenhat:seineUngerechtigkeit,denHang,die
120 Wahrheitunbedenklich jedermomentanenStimmung, jederSympa-
thie und Antipathie oder einfach nur dem Rhythmus eines Satzes
aufzuopfern. Bahr gesteht ihm darauf hin zu, er sei von der ewigen
Angstgequält, langweiligzuwerden.
Diese Angst ist unbegründet, denn langweilig ist er wirklich nicht.
125 Er sagt den Leuten regelmäßig, was sie zu hören nicht geneigt sind,
er schreibt in brillanten unkonventionellen Wendungen, respektlos
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Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Title
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Subtitle
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Editor
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Size
- 14.6 x 23.4 cm
- Pages
- 1010
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- 1891 7
- 1892 18
- 1893 31
- 1894 64
- 1895 91
- 1896 115
- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
- 1903 246
- 1904 288
- 1905 338
- 1906 371
- 1907 386
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- 1910 433
- 1911 447
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- 1931 598
- 1932 604
- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
- Korrespondenzpartner 902
- Register 916