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1962 615
kenlager fortgehend, überlegt er, ob er ihm nicht doch manchmal
Unrechtgetanhat.
Nur langsam und zögernd entwickeln sich ihre Beziehungen, fast
unmerkbar stellt ein Kontakt sich her. Bahr versucht als Redakteur
220 der Wochenschrift »Die Zeit« immer wieder, Schnitzler als Mitar-
beiter zu gewinnen. Im November 1897 liest er die Novelle »Die
Toten schweigen« öffentlich vor. Im November 1900 schreibt er in
plötzlichem Impuls: »Mit Dir nächstens einmal reden zu können
verlangtmichsehr,umDirzusagen,wiemenschlichtiefmichDeine
225 ›Beatrice‹ berührt hat: sie ist mir weitaus das Liebste was Du noch
geschaffenundhatmichvölligzuDir hingerissen.«
Bald darauf ist Schnitzlers Novelle »Leutnant Gustl«, die er in
der glücklichen Stimmung der Reichenauer Sommerwochen 1900
geschrieben hatte, zu Weihnachten in der Neuen Freien Presse
230 erschienen. Ein denunziatorischer Artikel der Tageszeitung »Die
Reichswehr« macht militärische Kreise darauf aufmerksam, daß
Schnitzler in dieser Novelle die Ehre und das Ansehen der Armee
geschädigtundherabgesetzthabe.EineehrenrätlicheUntersuchung
wird gegen ihn in Gang gesetzt, Schnitzler wird aufgefordert, sich
235 vor diesem Ehrenrat zu rechtfertigen. Er hat einen Freund, der ihm
zur Seite steht und dessen Ratschläge er befolgt: Max Burckhard,
jetztHofratbeimVerwaltungsgerichtshof,widerrätseinemFreunde
Schnitzler auf das entschiedenste, der Vorladung Folge zu leisten
unddamiteinermilitärischenBehördeirgendeineKompetenzinlite-
240 rarischenFragenzuzubilligen.i
Der Sommer kommt – an einem heiteren Junimorgen sitzt
Schnitzler beim Frühstück auf einer Salzburger Kaffeehausterrasse;
eine Wiener Zeitung öffnend, liest er erstaunt seinen Namen zu
BeginndesLeitartikels.Soerfährter,daßderEhrenratihmseinOffi-
245 zierspatentgenommenundihndegradierthat.Wasnunfolgt,isteine
FlutvonFürundWider in in-undausländischenZeitungen:»Leut-
nant Gustl« wird abwechselnd »das Schunderzeugnis dieses Juden«
und»einHauptbeweisdichterischerGenialität«genannt.Schnitzler
hat nun ausreichende Gelegenheit, über das Kapitel nachzudenken:
250 WiekommteinUrteil zustande?
Unter den vielen freundlichen Briefen, die kommen – auch von
österreichischenOffizierensindwelchedarunter–isteinervonHer-
mannBahr:
»Lieber Arthur! Ich denke mir zwar, daß Du die lächerliche Ent-
255 scheidung Deiner ›Affäre‹ mit der ruhigen Verachtung hingenom-
menhabenwirst,diesieverdient,möchteDiraberdochaussprechen,
wie stark ich gerade bei diesem Anlaß meine Sympathie für Dich
gespürt, und wie ich mich geschämt habe, in einem so grenzenlos
albernen Lande zu leben, wo die Feigheit der Menschen beinahe
260 nochgrößeristals ihrNeid.PfuiTeufel!UndallesGeredevon›Kul-
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Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Title
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Subtitle
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Editor
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Size
- 14.6 x 23.4 cm
- Pages
- 1010
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- 1891 7
- 1892 18
- 1893 31
- 1894 64
- 1895 91
- 1896 115
- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
- 1903 246
- 1904 288
- 1905 338
- 1906 371
- 1907 386
- 1908 401
- 1909 413
- 1910 433
- 1911 447
- 1912 463
- 1913 480
- 1914 492
- 1915 497
- 1916 502
- 1917 507
- 1918 510
- 1919 526
- 1920 536
- 1921 539
- 1922 547
- 1923 570
- 1924 583
- 1925 584
- 1926 585
- 1927 586
- 1928 588
- 1929 590
- 1930 593
- 1931 598
- 1932 604
- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
- Korrespondenzpartner 902
- Register 916