Page - 617 - in Arthur Schnitzler & Hermann Bahr - Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
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1962 617
305 »Ichfangean, jemehr ichmeineLeidenschaft jetztderKulturunse-
res Vaterlandes zuwende, immer mehr zu vermuten, daß für die
Größe einer Zeit und die Schönheit ihrer Menschen im Scheinen
und im Sein die ›großen Werke‹ garnicht so wichtig sind, als wir
zuerst meinten, sondern daß wir lieber für unsere tägliche Umge-
310 bung sorgen sollten... Dies ist es, was wir zu tun haben: lasset uns
denallgemeinenästhetischenWohlstandunseresarmenLandesver-
mehren... wenn ich eine Neigung für einen Menschen oder eine
Sache habe und nun erkenne, was an ihm oder an ihr schlecht ist,
meine ich doch: dann eben brauchen sie mich erst recht. Unerbitt-
315 lichfindetmichnur,wernachseinemWesenbesserseinkönnte,als
erausDünkel, SchwächeoderVerlogenheit ist...«
Diese Worte Bahrs zeigen den Antrieb seines Wesens, der ihn ver-
anlaßtzuwecken,zumahnen,zuwachen:weiler fördernwill.Und
sagtdieDuseihmeinmal:»AberSie!SiesinddochgarkeinKritiker
320 – Sie sind unser guter Kamerad!«, so macht ihn das stolz, denn das
ist alles, waser seinwill.i
Am15.Mai1902,anseinemvierzigstenGeburtstag,erhältSchnitzler
einenwunderschönenStraußRosenunddazudiesenBrief:»Dubist
enttäuscht, lieber Arthur, da Du geöffnet hast und siehst, daß diese
325 Blumen, statt von einem Weibchen, nur von mir sind. Aber sie sol-
lenDirhaltheute,woDuankommstnelmezzodelcamindinostra
vita, einmal sagen, daß ich Dich sehr gern habe und über unser gut
und fest gewordenes Verhältnis froh bin und meine, es könne, was
immer noch das Schicksal zwischen uns werfen mag, doch eigent-
330 lichimGrundeniemalsmehrwankendwerden.Undmirist, frühere
Dinge jetzt erst zu verstehen, und ich rede mir ein zu meinen, daß
was ich einst gegen Dich empfunden habe, vielleicht auch nur eine
freundschaftliche Ungeduld gewesen sein mag, den zu lange bei sei-
ner Jugend Verweilenden schneller männlich werden zu sehen. In
335 meinemVerhältniszurDuseweißichjetztganzgewiß,daßdieunbe-
greiflicheWut,dieichnachmeinererstenBegeisterungplötzlichauf
siehatte,genaumitihrerinnernKrisezusammenfiel,auswelchersie
verwandeltemporstieg.Wäreichd’Annunzioundwürdeichstilisie-
ren, sowürde ich sagen: IchbinderEhrgeizmeinerFreunde...«
340 Am17.August1797 schriebSchiller anGoethe:
»SovielistauchmirbeimeinenwenigenErfahrungenklargeworden,
daß man den Leuten, im ganzen genommen, durch die Poesie nicht
wohl, hingegen recht übel machen kann, und mir deucht, wo das
einenichtzuerreichenist,damußmandasandereeinschlagen.Man
345 muß sie inkommodieren, ihnen ihre Behaglichkeit verderben, sie in
Unruheund in Erstaunensetzen...«
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Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Title
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Subtitle
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Editor
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Size
- 14.6 x 23.4 cm
- Pages
- 1010
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- 1891 7
- 1892 18
- 1893 31
- 1894 64
- 1895 91
- 1896 115
- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
- 1903 246
- 1904 288
- 1905 338
- 1906 371
- 1907 386
- 1908 401
- 1909 413
- 1910 433
- 1911 447
- 1912 463
- 1913 480
- 1914 492
- 1915 497
- 1916 502
- 1917 507
- 1918 510
- 1919 526
- 1920 536
- 1921 539
- 1922 547
- 1923 570
- 1924 583
- 1925 584
- 1926 585
- 1927 586
- 1928 588
- 1929 590
- 1930 593
- 1931 598
- 1932 604
- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
- Korrespondenzpartner 902
- Register 916