Page - 9 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
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1 Einleitung
1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte
Innerhalb der Bauhausforschung bildet die Untersuchung der Wiener Gruppe um
Johannes Itten eine Leerstelle. Einer der Gründe mag dem Umstand geschuldet sein, dass
sich die aus Wien stammenden Bauhaus-SchülerInnen meist nur kurze Zeit in Weimar
aufhielten und sich später vorwiegend der freien Kunst und Kunstpädagogik widmeten.
Sie waren demzufolge nicht in jenen Bereichen tätig, mit denen das Bauhaus heute vor
allem in Verbindung gebracht wird: Architektur und Design. Anders verhält es sich hin-
gegen im Fall von Friedl Dicker und Franz Singer, die sich in ihrer Wiener Ateliergemein-
schaft von 1925 bis 1931 auf Raumgestaltungen und Architektur spezialisierten und mit
dieser Arbeit Gropius’ Ziel vom „neuen Bau der Zukunft“1 verfolgten. Gleichwohl ist das
innenraumgestalterische und architektonische Werk der beiden Bauhaus-SchülerInnen
bisher nahezu unerforscht.
Dicker und Singer wuchsen beide in Wien auf und begannen dort ihre künstlerischen
Ausbildungen. Als Schülerin und Schüler der privaten Kunstschule Johannes Ittens, in
der sie sich um 1917 kennengelernt hatten, wechselten sie 1919 mit Itten ans neu ge-
gründete Bauhaus in Weimar. 1923 verließen sie die dortige Schule, arbeiteten für The-
ateraufführungen und in den von Franz Singer gegründeten Werkstätten Bildender Kunst
in Berlin, in der Bühnenbilder, Theaterkostüme, Textilien, Bucheinbände und Schmuck
gefertigt wurden, bevor sie 1925 nach Wien zurückkehrten, um dort ihre Ateliergemein-
schaft zu gründen.
Der in Österreich stetig anwachsende Antisemitismus, der die Arbeitssituation für
die jüdische Dicker und den jüdischen Singer zunehmend erschwerte, führte schließlich
dazu, dass beide 1933/1934 ihren Lebensmittelpunkt ins Ausland verlegten – Dicker
nach Prag und Singer nach London. Singer arbeitete dort weiterhin im Bereich der In-
nenraumgestaltung und auch Dicker war, neben anderen Tätigkeiten, auf diesem Gebiet
tätig. Das Atelier in Wien, ab Ende 1931 unter der alleinigen Führung von Franz Singer,
blieb unter Aufsicht seiner Mitarbeiterin Leopoldine Schrom bis 1938 bestehen.
Neben den AtelierbegründerInnen flohen auch die meisten der aus einem vorwiegend
jüdisch-intellektuellen Milieu stammenden Wiener AuftraggeberInnen vor dem Natio-
nals ozialismus ins Ausland. Die zum hauptsächlichen Tätigkeitsfeld von Dicker und
Singer gehörenden Wiener Innenraumgestaltungen sind heute nicht mehr erhalten, da
1 Walter Gropius, Bauhaus-Manifest, April 1919, in: Wingler 20024, S. 39.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Title
- Bauhaus in Wien?
- Subtitle
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Author
- Katharina Hövelmann
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Size
- 17.4 x 25.6 cm
- Pages
- 492
Table of contents
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482