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„Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien
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auf Stahlrohr- und Messingrohrmöbel spezialisiert hatte. Insbesondere im Schlafzimmer
waren diese im bürgerlichen Bereich bereits verbreitet.156
Die avantgardistischen Stahlrohrmöbel der 1920er- und 1930er-Jahre, die auch im
Wohnbereich Einzug hielten, waren jedoch keineswegs günstig.157 Eine weniger teure
Variante war der Stahlrohrstuhl mit Sperrholzteilen für Sitz- und Rückenlehne. Die
Freischwinger B32, B33 und B64 von Thonet blieben aber immer noch kostspielig
(Abb. 185). Mitte der 1930er-Jahre setzte sich aber ein leicht abgewandeltes Modell der
Firma Mauser durch.158
Nachdem von 1928 bis 1930 Hannes Meyer die Leitung des Bauhauses übernommen
hatte, traten für die sogenannte „Ausbauwerkstatt“ – zusammengelegt aus der Metall-
werkstatt, der Wandmalerei und der Tischlerei – soziale Aufgaben in den Vordergrund.
Ab 1929 wurden in der von Alfred Arndt geleiteten Werkstatt preisgünstige Möbelent-
würfe aus Sperrholz für die „Volkswohnung“ entwickelt (Abb. 186).159 Breuer entwarf ab
1935 in Großbritannien Möbel aus diesem Material für die Firma Isokon160.
Die Verwendung sowohl von Stahlrohr als auch von Sperrholz für Möbel verdeutlicht
die enge Verbundenheit der Ateliergemeinschaft mit dem Bauhaus.
5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak
Das erste innerhalb der Ateliergemeinschaft entstandene Stahlrohrmöbel, ist der Stapel-
stuhl von Bruno Pollak aus dem Jahr 1927. Auch wenn dieser Stuhl nicht in Einrichtun-
gen von Dicker und Singer verwendet wurde und Pollak das Möbel auf seinen Namen
patentieren ließ, erscheint es berechtigt, auf diesen Stuhl näher einzugehen, entstand er
doch während Pollaks Mitarbeit in der Ateliergemeinschaft.161 Ein Prototyp mit einer
Bespannung aus Rohrgeflecht hat sich im Nachlass erhalten und ein historisches Foto
dokumentiert eine Variante mit Gurtbespannung (Abb. 187–189). Seine Form erinnert
an den Stahlrohrstuhl B5 von Marcel Breuer aus dem Jahr 1926/1927 (Abb. 190). So
stimmen die sich seitlich bildende quadratische Rahmenform, die auskragende Rücken-
lehne, die Konstruktion aus zwei Stahlrohrelementen und das Aufeinandertreffen der
Stahlrohrenden im Fußbereich überein.
156 Wolsdorff 2002, S. 45.
157 Vgl. Bauhaus-Archiv/Landesbildstelle Berlin 1996.
158 Wolsdorff 2002, S. 50.
159 Seckendorff 20062, S. 410–412.
160 Die Firma Isokon (Isometric Unit Construction) bestand seit 1931.
161 Es befindet sich ein Foto im AGS, das mehrere Stapelstühle Pollaks in einem Schrank zeigt. Welche
Wohnung hier aufgenommen wurde, ist nicht bekannt. Vermutlich handelt es sich um ein Einrich-
tungsprojekt von Bruno Pollak.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Title
- Bauhaus in Wien?
- Subtitle
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Author
- Katharina Hövelmann
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Size
- 17.4 x 25.6 cm
- Pages
- 492
Table of contents
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482