Page - 173 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer

5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 5.1 Das Bauhaus als Basis Die Entstehung eines „Bauhausstils“ lehnte der Gründungsdirektor Walter Gropius ve- hement ab.1 In dem 1930 veröffentlichten Band Bauhausbauten Dessau stellte er klar: „das ziel des bauhauses ist eben kein ‚stil‘, kein system, kein dogma oder kanon, kein rezept und keine mode! es wird lebendig sein, solange es nicht an der form hängt [...]. [...] ein ‚bauhausstil‘ aber wäre ein rückschlag in die akademische stagnation, in den lebens- feindlichen trägheitszustand, zu dessen bekämpfung das bauhaus einst ins leben gerufen wurde. vor diesem tod möge das bauhaus bewahrt bleiben!“2 Der Begriff „Bauhaus“ wird zumeist als Synonym für Design und Architektur der Moderne verstanden und mit Ikonen wie dem „Stahlclubsessel“ von Marcel Breuer oder der Tischleuchte von Wilhelm Wagenfeld und Carl Jakob Jucker gleichgesetzt. Diese unvollständigen Assoziationen mit dem Bauhaus wurden allerdings durch Walter Gro- pius’ unermüdliche Publikations- und Öffentlichkeitsarbeit gelenkt, die zu der Vorstel- lung eines „Gropius-Bauhaus“ führten.3 Primär war das Staatliche Bauhaus jedoch eine Kunstschule, die Gropius 1919 zur „Wiedervereinigung aller werkkünstlerischen Diszi- plin zu einer neuen Baukunst“4 gegründet hatte und die auch durch die Ausrichtun- gen der zwei nachfolgenden Direktoren Hannes Meyer und Mies van der Rohe geprägt wurde. Alle drei Direktoren verfolgten in der kurzen, nur vierzehn Jahre währenden Existenz des Bauhauses unterschiedliche Ziele, wenngleich für alle, mit unterschiedli- cher Gewichtung, die Schaffung von Modellen im Fokus stand.5 Für Gropius war im Gründungsmanifest noch die Verbindung von Kunst und Handwerk mit dem „Bau“ als 1 Vgl. Wolsdorff 2002, S. 52. 2 Gropius 1930, S. 11. Mit der Ablehnung des Stil-Begriffs beabsichtigte Gropius möglicherweise auch eine dezidierte Abgrenzung und Unabhängigkeit von der De Stijl-Bewegung aus den Nieder- landen, die sich ins Deutsche übersetzt als „Der Stil“ bezeichnete. Obschon Gropius’ Gesamtgestal- tungsanspruch im Wesentlichen mit den Ansichten von De Stijl übereinstimmte, ist der Kunsthis- toriker Andreas Haus der Ansicht, dass Gropius’ Bevorzugung eines Gestaltungsprozesses, der offen für Veränderung sein sollte, von der Befürwortung einer harmonisch gestalteten Form des De Stijl abzugrenzen sei. Siehe dazu: Haus 2003, S. 183. 3 Wolsdorff 2002, S. 52. 4 Gropius 1923, S. 9. 5 Jaeggi 2009, S. 13. © 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0