Page - 10 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
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10 Einleitung
die jüdischen AuftraggeberInnen ihre Haushalte fluchtbedingt auflösten oder die Woh-
nungen im Krieg zerstört wurden. Die bisher unzureichende Erforschung von Dickers
und Singers Werk ist Grund dafür, dass eine bis um 1990 nahezu vollständig erhaltene
Wiener Wohnraumgestaltung verloren ging.
Nach derzeitiger Kenntnislage sind heute noch 42 Möbel und vier Leuchten in Eu-
ropa sowie drei Möbel und eine Leuchte in den USA nachweisbar. Die noch vorhande-
nen Möbel und Leuchten fristen zumeist ihr Dasein in Depots von Museen oder befin-
den sich in Privatsammlungen, was dazu führt, dass das innenraumgestalterische und
architektonische Werk von Dicker und Singer in der Öffentlichkeit – abgesehen von zwei
gezeigten Einzelausstellungen 1970 in Darmstadt und 1988 in Wien – weitgehend ver-
gessen ist. Friedl Dicker wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und 1944 in Ausch-
witz ermordet. Franz Singer verstarb 1954 bei einem Besuch in Berlin.
1.2 Forschungsstand
Eine umfassende und kontextualisierende Aufarbeitung des Werkbestands der Atelier-
gemeinschaft von Dicker und Singer liegt bisher nicht vor. Zwei Ausstellungskataloge
liefern jedoch erste grundlegende Informationen: Dem von Peter Wilberg-Vignau unter
dem Direktor des Bauhaus-Archivs Hans M. Wingler2 erarbeiteten Katalog der Ausstel-
lung Friedl Dicker, Franz Singer3 sind erste Eckdaten zu Dickers und Singers Biografie,
eine erste Präsentation ausgewählter Projekte und Möbel sowie einzelne Hinweise auf
Zeitschriften, in denen das Atelier publizierte, zu entnehmen. Zudem wurde eine erste,
chronologische Auflistung der einzelnen Projekte vorgenommen, deren Datierungen je-
doch teilweise fehlerhaft sind. Anlass und Grundlage der Ausstellung war die Schenkung
eines Teilnachlasses von Franz Singer durch seine Schwester Frieda Stoerk ans Bauhaus-
Archiv in Darmstadt.4
2 Hans M. Wingler gilt als Initiator der Bauhaus-Forschung. 1955 hatte Wingler bei der Eröffnung
der Hochschule für Gestaltung in Ulm den Gründungsdirektor Walter Gropius sowie ehemalige
Studierende des Bauhauses kennengelernt und beschloss daraufhin eine fundierte Publikation zu
verfassen. Er gründete 1960 das Bauhaus-Archiv in Darmstadt, das sich heute in Berlin befindet.
Zum Standardwerk der Forschungsliteratur zählt seine erstmals 1962 erschienene Monografie Das
Bauhaus. 1919–1933, Weimar, Dessau, Berlin, die mit der 1968 erschienenen Publikation Das Bau-
haus 1919–1933, Weimar, Dessau, Berlin und die Nachfolge in Chicago 1937 erweitert wurde.
3 Wilberg-Vignau 1970. Die Ausstellung wurde vom 31. Januar bis 24. März 1970 im Bauhaus-
Archiv Darmstadt gezeigt.
4 Dies geht aus der Eröffnungsrede für die 1970 gezeigte Ausstellung „Friedl Dicker, Franz Singer“
des damaligen Direktors Hans M. Wingler hervor, zu deren Anlass die Objekte erstmals präsentiert
wurden. Siehe: BHA, Nachlass Hans M. Wingler, Mappe Manuskripte 1961–1970, Eröffnungs-
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Title
- Bauhaus in Wien?
- Subtitle
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Author
- Katharina Hövelmann
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Size
- 17.4 x 25.6 cm
- Pages
- 492
Table of contents
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482