Page - 216 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
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„Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien
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Bestand der AuftraggeberInnen der Ateliergemeinschaft auch für die Neugestaltungen
der Wohnungen umgearbeitet wurden.111 In der Wohnung von Stefanie und Eduard
Kronengold aus dem Jahr 1932/33 war im Herrenzimmer ein Diwan aufgestellt, der
aus einem alten Biedermeier-Sofa gefertigt worden war und als Liege der Patienten des
Psychoanalytikers Eduard Kronengold genutzt wurde. Im Wohn- und Schlafzimmer
der Dame wurde der Schrankeinbau unter dem Fenster aus einer alten Biedermeier-
Kommode hergestellt. Diese Möbel wurden in der britischen Zeitung The Evening Stan-
dard unter dem Titel „New furniture for old“ veröffentlicht.112 Bei den Entwürfen lässt
sich demzufolge durchaus eine Verbundenheit zu den Kulturepochen beobachten, die
in Österreich besondere Leistungen auf dem Gebiet der Möbelkultur erbrachten – dem
Biedermeier und Jugendstil.
5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen
Aufgrund der finanziellen Not am Bauhaus kam Gropius 1921 zu dem Schluss, dass die
Werkstätten Geld zur finanziellen Sicherung der Schule erwirtschaften müssten: „Es wäre
denkbar, daß die Arbeit in den Werkstätten des Bauhauses mehr und mehr zur Schaffung
typischer Einzelstücke führen wird.“113 Unter der Parole „Kunst und Technik – Eine
neue Einheit“ wurden in der Folge am Bauhaus erste Prototypen hergestellt, mit denen
der Gegensatz von künstlerischem Entwurf und industrieller Produktion überwunden
werden sollte.114
Die 1931 im Kölner Tageblatt publizierten Möbel und der begleitende Text „Das
moderne Wohnprinzip. Ökonomie der Zeit, des Raumes, des Geldes und der Nerven.
Franz Singer Möbel“ verdeutlichen, dass das Atelier die Entwicklung von Möbeltypen
anstrebte und den Versuch unternahm, diese Möbel über eine deutsche Tageszeitung
zu bewerben. Im Text wurde aus einer sozialen Perspektive die Formfindung für Möbel
argumentiert, die „nicht nur für den Mittelstand, sondern auch für die Arbeiterschaft“115
vorgesehen seien: „Aus den Schwierigkeiten der heutigen Wohnverhältnisse mußte not-
wendigerweise ein Stil entstehen. Die Bewußtwerdung und Erfüllung aller aus dem
Mangel entstandenen Erfordernisse hatten eine Komprimierung zur Folge gegenüber der
Reduzierung des pseudo-modernen Stils.“116
111 Auch in der Wohnung für Prof. Taglicht wurden vorhandene Möbel umgearbeitet.
112 The Evening Standard 1934, S. 24.
113 Zitiert nach: Seckendorff 20062, S. 404.
114 Seckendorff 20062, S. 404.
115 Kölner Tageblatt 1931.
116 Ebd.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Title
- Bauhaus in Wien?
- Subtitle
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Author
- Katharina Hövelmann
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Size
- 17.4 x 25.6 cm
- Pages
- 492
Table of contents
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482