Page - 28 - in Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
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In diesem Kapitel werden forschungsgeschichtliche
Aspekte, deren Kenntnis Voraussetzung zur metho-
disch sauberen Diskussion der vorliegenden The-
matik ist, behandelt. Einschlägige Zitate, speziell
aus der älteren Fachliteratur zu Flavia Solva, sollen
zeigen, wie innerhalb der Forschung die Annahmen
einer umfassenden Zerstörung des Munizipiums im
Zuge des Germaneneinfalls tradiert und im Rahmen
von Überblicksarbeiten zur Geschichte Noricums
oder den Markomannenkriegen häufig unreflektiert
in einen größeren Zusammenhang gesetzt wurden.
Abschließend finden kritische Stellungnahmen älte-
ren und jüngeren Datums zum Thema besondere
Berücksichtigung.
In Zusammenhang mit dem Kapitel 16 »Diskus-
sion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum histori-
schen Kontext« und den im Kapitel 17 »Ausblick:
Zur Frage der Historizität in der Provinzialrömischen
Archäologie« definierten Kriterien wird deutlich,
dass die Aussagen Walter Schmids und damit auch
die auf diesen beruhenden Bewertungen Flavia
Solvas zur Zeit der Markomannenkriege einer kriti-
schen Prüfung nicht standhalten. Dass die Meinung
einer Zerstörung von Flavia Solva-Wagna im Zuge
der germanischen Invasion nach Italien während
der Markomannenkriege Eingang in die Fachlitera-
tur gefunden hat, geht primär auf apodiktisch und
holistisch formulierte historische Rückschlüsse des
ehemaligen steirischen Landesarchäologen Walter
Schmid (1875 – 1951) zurück86. Im Gegensatz zu
den weitreichenden historischen Aussagen sind die
Angaben zu den archäologischen Befunden, die zur
Ableitung dieser historischen Feststellungen geführt
haben, als eher dürftig zu bezeichnen. Angaben zur
Stratigrafie sind auf die Erwähnung von Planierun-
gen und (Brand-) Schuttschichten beschränkt87.
Die geringe Sorgfalt festgestellter Wiederaufbau-
maßnahmen diente W. Schmid als Argumentations-
basis für die Rekonstruktion eines Krisenszenarios.
Angaben zu Funden aus den Zerstörungsschichten
beziehen sich lediglich auf Münzfunde und die Dis-
86 Schmid, 1916, 24: »[…]; doch unterbrach der Einbruch der
Markomannen in Noricum und Pannonien im J. 166 emp-
findlich die ruhige Entwicklung. Nur langsam erholte sich die
von den Feinden in Schutt gelegte Stadt von dem schweren
Schlage, […].«
87 Schmid 1917, 3: »Die offene Stadt Solva wurde von ihnen
überrannt und niedergebrannt. Als die Bewohner nach
Beendigung des Markomannenkrieges im Jahre 172 wieder
an den Aufbau ihrer Häuser schritten, hatten sie nicht mehr
die Kraft, den Schutt, der über metertief in den Häusern und
auf den Straßen lag, wegzuräumen, sondern begnügten
sich damit, ihn zu planieren und sich darüber häuslich
einzurichten. Auch die damals neu aufgeführten Mauern
sind sehr flüchtig als Schuttmauern gebaut, indem man den
Schutt der zusammengestürzten Mauern schlichtete und mit
starkem Mörtel verkleidete. Selbst der Verputz der Wände
zeigt in seiner Einfachheit und Dürftigkeit die Not der Zeit.« kussion der möglichst exakten Datierung einer ›Mar-
komannenkatastrophe‹ in Flavia Solva-Wagna88.
Diese ohne eine detailliertere Vorlage der konkre-
ten Befunde und Funde geäußerten vielleicht bis
zu einem gewissen Grad dem damaligen Zeitgeist
geschuldeten89 Aussagen wurden von der kontem-
porären und folgenden Forschergeneration weitge-
hend vorbehaltlos übernommen90.
Bezugnehmend auf die Arbeiten W. Schmids fasste
der Althistoriker Géza Alföldy (1935 – 2011) in seiner
grundlegenden Publikation zur römischen Provinz
Noricum im Jahr 1974 die historischen Interpretatio-
nen zur Stadtgeschichte Flavia Solvas während der
Zeit der Markomannenkriege in einem Satz zusam-
men: »They reduced Solva to ashes and ruin.«91
Die Nachfolger W. Schmids, Walter Modrijan
(1911 – 1981) und Erich Hudeczek (1939 – 2007),
tradierten die Ergebnisse Schmids weiter. So ging
W. Modrijan noch davon aus, dass das durch »drei
mehr oder weniger feste Daten gestützte chrono-
logische Gerüst der Geschichte von Solva« auch
»die erste und totale Vernichtung der aufblühenden
Landstadt in den Markomannenkriegen«92 umfasst.
E. Hudeczek konstatierte in seinem grundlegenden
Aufsatz über Flavia Solva 1977 noch »eine durch-
gehende Brand- und Schuttschicht in allen bisher
untersuchten Stadtteilen« und bezog Funde sekun-
88 Schmid 1919, 139 : »Bereits im Ausgrabungsjahre 1913 er-
gab die Beobachtung der Schichtenlagerung, daß die Stadt
unter dem Sturm der Markomannen im Jahre 169 eine
schwere Heimsuchung erlitten hat; gewaltige Schuttmassen
lagen mit Brand- und Kohlenresten vermischt ober dem ältes-
ten Niveau, in dem die Reihe der Münzen mit Antoninus Pius
(†161) endete, indessen in dem darüber liegenden Mauer-
schutt Münzen des Kaisers Marcus lagen. Die Bewohner ver-
mochten nach Rückkehr friedlicher Verhältnisse den Schutt
nicht mehr wegzuräumen, sie schlichteten ihn nur und schu-
fen darüber neue Räume. Auch die neu aufgeführten Mauern
weisen gegen die solide Bauart des ersten Jahrhunderts eine
wesentliche Verschlechterung auf; nicht allein allerlei Archi-
tekturstücke wurden als Baumaterial verwendet, die meis-
ten Mauern sind sehr flüchtig als Schuttmauern gebaut, bei
denen man den Schutt der zusammengestürzten Mauern in
Mauerbreite schlichtete und mit starkem Mörtel verkleidete.«
Schließlich fasste W. Schmid seine Feststellungen 1923/1924
noch einmal zusammen. Schmid 1923/1924, 225: »Im Jahre
166 wurde Solva von den Markomannen in Schutt und Asche
gelegt; die Bewohner haben die Schuttmassen dieser Katast-
rophe nach Rückkehr geordneter Zustände nicht wegräumen,
sondern nur planieren und über ihnen den Neubau aufführen
können. Die Verarmung der Bevölkerung zeigt sich auch da-
rin, daß die neu aufgeführten Mauern aus dem Schutt der
zusammengestürzten Mauern unter Verwendung von allerlei
Architekturstücken aufgeführt und diese Schuttmauern mit
starkem Mörtel verkleidet wurden.«
89 Am Titelblatt der Publikation Schmid 1917 ist vermerkt: »Der
Reinertrag fließt in den Fond zu Gunsten der steirischen
Kriegswitwen und Kriegswaisen.«
90 Zwikker 1941, 186.
91 Alföldy 1974, 154. Nach Schmid 1919, 139 und Schmid
1923/1924, 225.
92 Modrijan 1959 – 1961, 21 f.
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Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Title
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Author
- Christoph Hinker
- Publisher
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 344
- Keywords
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321