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den Fundmaterial. Es darf vielleicht davon ausge-
gangen werden, dass entsprechendes Werkzeug
auch in verbranntem und deshalb unbrauchbarem
Zustand noch einen gewissen Metallwert besaß und
im Zuge möglicher Brandbekämpfung gegenüber
Keramikgefäßen bevorzugt geborgen wurde. Die
Tatsache, dass insgesamt kaum größere Metallarte-
fakte (20+ cm) im Fundmaterial vorliegen, darf wohl
eher mit dem Durchsuchen des Brandschutts nach
(wieder)verwertbaren Materialien in Zusammen-
hang gebracht werden als mit einer Bergung oder
Plünderung, die sich eher auf eine Auswahl von
Gegenständen bezogen haben mag. Das Überse-
hen von Metallgegenständen dieser Größe während
der Ausgrabung darf wohl ausgeschlossen werden.
Dass auch verbrannten Eisenteilen ein gewisser
Wert beigemessen wurde, zeigt ein Depotfund in
Rapis-Schwabmünchen, der zum überwiegenden
Teil aus verbrannten Baubeschlägen besteht, die
offenbar aus den Überresten der während der ers-
ten Hälfte des 3. Jahr hunderts n. Chr. abgebrannten
Vicusbebauung aussortiert worden waren145. Nach
der Zusammensetzung der Funde wird auch für
eine Brandschicht der Mitte des 3. Jahr
hunderts n.
Chr. in Riegel von einer systematischen Durchsu-
chung nach Metallobjekten nach der Katastrophe
ausgegangen146.
Nach der Bildung des vorliegenden Befundes durch
Brand ist davon auszugehen, dass Artefakte aus
organischen Materialien, besonders Holz und Horn,
mit Ausnahme von Bein und einigen Pflanzenres-
ten, primär dem Feuer zum Opfer gefallen sind.
Eventuell unvollständig verbrannte Reste könnten
in Folge durch natürliche Formationsprozesse ver-
gangen sein. Die vorliegenden verkohlten Pflan-
zenreste (vgl. Kap. 11.2.3) zeigen an, dass durch-
aus mit unterschiedlichen Brandbedingungen und
-intensitäten oder unterschiedlichen Lagerungsbe-
dingungen und Milieus während des Brandes, die
sich entsprechend differenziert auf die betroffenen
Artefakte auswirkten, zu rechnen ist. In Zusammen-
hang mit den Pflanzenresten könnte etwa auf eine
unvollständige Verbrennung oder eine Lage abseits
der Flammen, z. B. unter Versturz, oder eventuell
auf ein die Verkohlung begünstigendes schwelen-
des Ausklingen des Brandes und ähnliche Phäno-
mene zu schließen sein147.
In diesem Zusammenhang ist auch auf die an den
Beinfunden erkennbaren Brandspuren hinzuwei-
sen. Diese belegen unterschiedliche Intensitäten
des Brandes und/oder verschiedene Lagerungs-
verhältnisse der betroffenen Artefakte. Die Erschei-
nungen reichen von wenig verbrannten, d. h. braun
145 Czysz 1998, 116 Abb. 72.
146 Scholz 1996, 145.
147 Vgl. Jacomet – Kreuz 1999, 59 – 62; Matterne 2001, 67 – 69;
Thanheiser 2004, 241; weiterführend: Wilson 1984, 201 – 206. bis hellgrau verfärbten Beinobjekten, bis zu stark
verbrannten, d. h. schwarzen und sogar weiß kal-
zinierten Artefakten. Diese Farbgebungen spie-
geln Verbrennungsgrad und -temperatur wider.
Die dunkelbraunen bis schwarzen Verfärbun-
gen weisen auf Verbrennungstemperaturen von
300 – 400° hin, während die kalzinierten Artefakte
Verbrennungstemperaturen von 650 – 700° und
mehr ausgesetzt waren148.
7.3 Resümee
Nach dem vorliegenden Befund wäre eine Abfolge
von Aktivitäten wie folgt zu rekonstruieren:
Bauphase (Periode II), Nutzungsphase (Periode II),
Zerstörung (Periode II+). Nach, während oder unmit-
telbar vor der Zerstörung erfolgte Aktivitäten wie
Flucht, Brandbekämpfung, Rettung, Bergung, Plün-
derung etc. sind grundsätzlich nicht auszuschließen,
zeichnen sich im archäologischen Befund allerdings
kaum ab. An die Brandzerstörung ist wahrschein-
lich eine Ordnungs- oder Bereinigungsphase unmit-
telbar nach dem Brand anzuschließen (zur Peri-
ode III vgl. Kap. 16.7). Die Grube G32, in der primär
Brandschutt entsorgt wurde, darf mit diesen Auf-
räumarbeiten in Zusammenhang gebracht werden
(vgl. Kap. 10.2). Darüber hinaus könnte besonders
das Fehlen größerer Metallobjekte andeuten, dass
diese im Rahmen von Aktivitäten nach der Zerstö-
rung systematisch aus dem Brandschutt geborgen
worden waren (vgl. Kap. 16).
7.4 Exkurs: ›Pompeji-Prämisse‹ in Flavia Solva?
Mit dem Begriff ›Pompeji-Prämisse‹ werden in der
Archäologie idealisierte Befundsituationen beschrie-
ben, die quasi versiegelt wurden, frei von jüngeren
Eingriffen blieben und vollständige Inventare von
Artefakten, die zum Zeitpunkt der ›Versiegelung‹
vorlagen, liefern sollen. Der Terminus ›Pompeii Pre-
mise‹ wurde von Robert Ascher in die archäologi-
sche Forschung eingeführt und von Lewis Binford
sowie Michael Brian Schiffer diskutiert149, wobei der
Zugang R. Aschers durchaus kritisch war, wie ein
Zitat aus seiner Publikation von 1961 zeigt: »What
the archaeologist disturbs is not the remains of a
once living community, stopped as it were, at a point
in time; […].«150 M. B. Schiffer kritisiert schließlich
1985, dass Auswertungen archäologischer Befunde,
148 Vgl. Grill 2006, 221.
149 Ascher 1961, 324 Anm. 21; Binford 1981, 196. 205; Schiffer
1985, 18 – 41; Sommer 1991, 62.
150 Ascher 1961, 324. In einer Anmerkung [21] präzisiert
R. Ascher seine Gedanken dazu: »This erroneous notion,
often implicit in archaeological literature, might be called the
Pompeii Premise.«
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Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Title
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Author
- Christoph Hinker
- Publisher
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 344
- Keywords
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321