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bination mit Flechtwerkwänden (Haus I-Zwischen-
wände) gekennzeichnet1124.
Die Änderung von Grundstücksgrenzen und festzu-
stellende neue Bebauungsmuster wurden in Aquae
Helveticae-Baden auf eine Änderung der Eigen-
tumsverhältnisse nach einem Brand und in weiterer
Folge auf kriegerische Auseinandersetzungen bezo-
gen1125. Ein gegen 180 n. Chr. abgebranntes Holz-
gebäude in Genf wurde vergleichbar mit Haus II der
Insula XLI von Flavia Solva-Wagna nicht antik wie-
dererrichtet oder überbaut1126.
16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva
Jüngere archäologische Untersuchungen in Flavia
Solva-Wagna haben gezeigt, dass die Aussagen
W. Schmids über eine weitgehende Zerstörung des
Munizipiums im Zuge der Markomannenkriege nicht
haltbar sind (vgl. Kap. 4). In den zuletzt ergrabenen
Bereichen von Flavia Solva-Wagna fehlen Hinweise
auf antoninische Brand- oder Zerstörungsschichten
(vgl. Kap. 14). Bemerkenswert ist, dass von den
archäologischen Ausgrabungen jüngeren Datums
in Flavia Solva-Wagna, die keine Hinweise auf aus-
gedehnte antoninische Brandschichten erbrachten,
besonders Flächen im Südosten des Munizipiums
betroffen waren. Folgt man der herkömmlichen Auf-
fassung eines Eindringens der germanischen Inva-
soren entlang der Bernsteinstraße und weiter in das
Territorium Flavia Solva-Wagnas von Südosten ent-
lang des Murtals, hättten diese Stadtviertel beson-
ders und als erste von einem Einfall betroffen gewe-
sen sein müssen.
Es ist festzustellen, dass nach einer kompletten
Zerstörung von Flavia Solva-Wagna durch die Mar-
komannen, wie sie W. Schmid postulierte, wohl
kaum die auf dem Areal der Insula XLI in den Jah-
ren nach der Brandzerstörung nachgewiesene –
wenn auch reduzierte – Bautätigkeit (Bauperiode III,
terminus post quem 173 n. Chr.)1127 möglich gewe-
sen wäre, zieht man jedenfalls die Entvölkerung,
einerseits durch die sog. antoninische Pest, ande-
rerseits durch die Ermordung oder Verschleppung
der Bevölkerung während der Kriege ins Kalkül.
Bezüglich dieser Überlegungen ist jedoch auf die für
Haus I der Periode III explizit erwähnten »äußerst
schwach und flüchtig aus Stein- und Ziegelmaterial
in Zweitverwendung«1128 errichteten Außenmau-
ern hinzuweisen (vgl. Kap. 16.7). Diese Angaben
decken sich mit jenen, die W. Schmid im Zusam-
1124 Groh 1996, 88 – 101 Plan 8 – 9.
1125 Schucany 2005, 60.
1126 Haldimann u. a. 1991, 204.
1127 Groh 1996, 91. 160 f.
1128 Groh 1996, 90. menhang mit Wiederaufbaumaßnahmen anführt
(vgl. Kap. 4).
16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft
und das Szenario eines Germaneneinfalls
Der Brandbefund der Periode II/II+ der Insula XLI
von Flavia Solva-Wagna ist ein innerhalb der süd-
ostnorischen Siedlungslandschaft bzw. im Bereich
des östlichen Einzugsgebietes von Flavia Solva-
Wagna, westlich und nordwestlich der Bernstein-
straße, bislang singuläres Phänomen (vgl. Kap. 15).
Geht man in Übereinstimmung mit der herkömm-
lichen Forschungsmeinung davon aus, dass die
germanische Invasion im Jahr 170 n. Chr. über
die Route der Bernsteinstraße erfolgte, ergibt sich
die Frage, weshalb ›marodierende germanische
Verbände‹ ihren Überfall entweder auf das süd-
ostnorische Munizipium beschränkten oder dieses
Gebiet gänzlich mieden, wovon bei der derzeitigen
Befundlage auszugehen wäre. Großflächige annä-
hernd kontemporäre Brandhorizonte aus der Zeit
der Markomannenkriege konnten bislang weder in
den Vici noch in den Villen im Bereich um Flavia
Solva-Wagna überzeugend nachgewiesen werden,
obwohl für die Anlagen von Gleisdorf, Kalsdorf und
Saaz sowie Aichegg1129, Grafendorf, Grünau, Ran-
nersdorf, Retznei, Södingberg1130 oder St. Martin an
der Raab Ergebnisse umfangreicher Forschungs-
und Rettungsgrabungen vorliegen (vgl. Kap. 15).
Der derzeitige Forschungsstand zur Siedlungsland-
schaft im südöstlichen Noricum und westlichen Pan-
nonien spricht zumindest dafür, dass systematische
Plünderungen und Zerstörungen in diesem Gebiet
zur Zeit der Markomannenkriege nicht stattgefun-
den haben. Die Möglichkeit eines gezielten germa-
nischen Überfalls auf das Verwaltungszentrum der
Region ist deshalb freilich nicht auszuschließen. Ob
wir uns die germanische Invasion nach Oberitalien
als koordiniertes und sorgfältig vorbereitetes Unter-
nehmen oder als Summe lose zusammenhängender
Aktionen verschiedener, weitgehend selbstständig
agierender Gruppen vorzustellen haben, entzieht
sich unserer Kenntnis. Bei den genannten Modellen
eines Einfalls auf koordinierter oder selbstständiger
Basis wäre mit verschiedenen Varianten zu rech-
nen, etwa vereinbarten ›Sammelpunkten‹: Aquileia,
Opitergium-Oderzo, Donauübergang etc. (?) sowie
in verschiedene Richtungen versprengten, unab-
hängig operierenden, ›marodierenden Banden‹ und
ähnlichen Phänomenen des Kriegswesens, um zwei
Beispiele anzuführen, die freilich auf reiner Spekula-
tion beruhen.
1129 Bauer u. a. 1995, 77 – 80.
1130 Wagner 2000, 458 – 461.
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Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Title
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Author
- Christoph Hinker
- Publisher
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 344
- Keywords
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321