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der in den Produktionsprozess eingegliedert werden
konnten. Das wohl plausibel als Abfallstück anzu-
sprechende Beinartefakt Kat. 597 wird als Beispiel
für beabsichtigten Produktionsabfall, wie er bei
der Weiterverarbeitung eines Rohlings oder Halb-
fabrikats anfallen konnte, angeführt. Die Dimensi-
onen des Artefakts legen nahe, dass wir eher von
einer Entsorgung des Stücks als von der Möglich-
keit einer Wiedereingliederung in den Produktions-
prozess auszugehen haben. Schließlich sind der
mögliche Klappmessergriff Kat. 511, der am breiten
Ende eine deutliche Bruchstelle aufweist, sowie das
aus zwei Fragmenten zusammengesetzte und an
einer Schmalseite abgebrochene Leistenfragment
Kat. 516 als Beispiele für wohl unbeabsichtigt wäh-
rend der Weiterbearbeitung von Halbfabrikaten vor-
läufig aus dem Produktionsprozess ausgeschiedene
Artefakte anzuführen. Besonders die zerbrochene
Leiste könnte noch im Rahmen der Produktion
anderer Artefakte wieder in den Produktionsprozess
integriert worden sein.
Die aus Insula XLI vorliegenden Beinartefakte und
die ableitbaren Herstellungstechniken zeigen deut-
lich, dass es sich um eine gewerbliche auf Beinver-
arbeitung spezialisierte Werkstatt und nicht um eine
Produktion für den Eigenbedarf handelt.
13.2 Buntmetallverarbeitung
Fragmente von Artefakten, die Rückschlüsse auf
die Buntmetallverarbeitung erlauben, wurden in
den Häusern II und IV der Insula XLI festgestellt
(vgl. Kap. 10). Während sämtliche Gussformen aus
Haus IV (Quadrant G12) stammen, wurden Guss-
tiegelfragmente ausschließlich in Haus II (Qua-
dranten C2 – D2) aufgefunden. Die Gussformen
Kat. 418 – 420 (Groh 1996, GF1 – 3) sind mit dem
Ziegelplattenherd F31 in Raum P in Verbindung
zu bringen975. Sie könnten für sog. offenen Herd-
guss angefertigt worden sein976. Bei den beiden am
Rand der Gussform GF 2 angebrachten Ausneh-
mungen könnte es sich eventuell um Passmarken
für eine zweischalige Form handeln977, was gegen
die Anwendung des offenen Herdgusses sprechen
würde. Ein Eingusstrichter ist jedoch nicht festzu-
stellen. Bemerkenswert ist, dass in Raum P nur eine
Feuerstelle (F31) nachgewiesen werden konnte.
Zur effizienten Arbeitsweise wäre der gleichzeitige
Betrieb von zumindest zwei Feuerstellen zu erwar-
ten: eine Feuerstelle für das Schmelzen von Kupfer-
legierungen und Vorwärmen der Gussformen sowie
eine zweite Feuerstelle zur Vorbereitung glühender
Holzkohle, um die Temperatur der ersten Feuer-
975 Groh 1996, 72. 128 – 131.
976 Hudeczek 1988, 341. Indizien dagegen bei Groh 1996, 129.
977 Groh 1996, 129. stelle konstant und hoch halten zu können. Vielleicht
dürfen wir davon ausgehen, dass diese Tätigkeiten
innerhalb weniger spezialisierter Betriebe auch an
einer Feuerstelle ›improvisiert‹ werden konnten. Mit-
tel zur Befeuerung des Ofens oder der Öfen für den
Buntmetallguss mussten vielleicht z. T. zugekauft
werden (Holzkohle) oder konnten eventuell auch als
Abfallmaterial von (hypothetischen) Werkstätten zur
Holzverarbeitung bezogen werden (Holz).
Die Gusstiegel Kat. 421 – 423 aus Haus II kön-
nen dem Bereich von Raum G oder H zugewie-
sen werden. Gussgruben oder Herdmulden, wie
sie beispielsweise in Insula XXII von Flavia Solva-
Wagna978 oder am Magdalensberg979 für das
Schmelzen nachgewiesen sind, konnten in diesem
Bereich nicht aufgedeckt werden. Die Buntmetallbe-
arbeitung darf deshalb vielleicht mit dem Ziegelplat-
tenherd F14 in Raum H von Haus II der Insula XLI
in Zusammenhang gebracht werden980. Der Aufbau
eines kleinen Schmelzherdes des 3. Jahr hunderts n.
Chr., der zur Aufnahme von Guss tiegeln diente,
konnte in einer Bronzewerkstätte in Scarbantia-
Sopron dokumentiert werden981. Fundorte in Pan-
nonien mit Belegen für Bronzewerkstätten wurden
zuletzt von K. Szabó zusammengestellt982.
Weitere buntmetallverarbeitende Werkstätten sind
für Flavia Solva-Wagna indirekt durch das Bronze-
modell einer Kniefibel, einen Schmelztiegel und das
Halbfabrikat einer Hasenfibel nachgewiesen983.
Bemerkenswert ist das Fehlen von innerhalb römi-
scher Buntmetallverarbeitung in der Regel nach-
weisbarer Altmetallsammlung (z. B. Augusta Rau-
rica-Augst, Insula 30984). Eine Massierung von
Buntmetallschrott ist im Fundmaterial nicht nachzu-
weisen, weshalb davon auszugehen wäre, dass die-
ser an einem anderen Ort zur Weiter- oder Wieder-
verarbeitung gelagert oder nach dem Brandereignis
geborgen wurde (vgl. Kap. 7).
Die Unterbringung feuergefährlicher Betriebe in
Fachwerk- oder Holzbauten ist während der Römer-
zeit nicht ungewöhnlich und in den Nordwestprovin-
zen beispielsweise im Vicus Vitudurum-Winterthur
belegt985.
Das Modell einer multifunktionalen handwerklichen
Nutzung, z. B. zur Textil- oder Buntmetallverarbei-
978 Hudeczek 2008, 273 Anm. 50 Abb. 12.
979 Drescher 1994, 129 – 131 Abb. 7.
980 Groh 1996, 62.
981 Gömöri 2003, 88 f. Abb. 17; Gömöri 2003a, 247 Abb. 53.
982 Szabó 2000, 153 – 164 (Albertfalva, Aquincum-Budapest,
Arrabona-Győr, Baláca, Brigetio-Komárno, Budapest-Gel-
lérthegy, Carnuntum, Emona-Ljubljana, Epöl, Intercisa-Du-
naújváros, Keszthely-Fenékpuszta, Neviodunum-Drnovo,
Savaria-Szombathely, Szalacska, Tokod).
983 Gschwantler – Winter 1989/1990, 112 f. Nr. 1; 117 f. Nr. 8;
125 f. Nr. 18.
984 Deschler-Erb 2012, 67 f.
985 Pauli-Gabi u. a. 2002, 44 – 49.
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Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Title
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Author
- Christoph Hinker
- Publisher
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 344
- Keywords
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321