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selben Behältnis eher unwahrscheinlich ist (vgl.
Kap. 11.1.3.1).
Raum O dürfte nach Ausweis des Ziegelplatten-
herdes oder -ofens F32 am ehesten als Wohnraum
anzusprechen sein211. Auch die Fibel Kat. 435 und
die Firmalampe Kat. 318 sprechen für diese Inter-
pretation.
Nach Ausweis der Gussformen Kat. 418 – 420
und dem gehäuften Nachweis von Beinartefak-
ten (Kat. 513 – 524. 526 – 529. 539. 566. 574. 578.
582. 587. 590. 674 – 676) darf Raum P (Inventar:
Abb. 20) wohl als multifunktionale Werkstatt, pri-
mär zur Bein- und Buntmetallverarbeitung, gedeu-
tet werden (vgl. Kap. 11.2.1; 13)212. Der konkrete
Arbeitsschritt des Gießens könnte am Ziegelplat-
tenherd F31 ausgeführt worden sein. Da bei der
aus Raum P stammenden Taubenfibel Kat. 438
(Groh 1996, FI 24) Achse, Nadel und Spirale fehlen,
könnte es sich entweder um ein Halbfabrikat aus
dieser Werkstatt handeln, wobei zu bedenken wäre,
dass entsprechende Gussformen allerdings nicht
vorliegen, oder die Fibel war zur Reparatur oder als
Altmetall zur Wiederverwertung vorgesehen (vgl.
Kap. 11.1.3.2). Die Bronzefragmente Kat. 648 –
649
und das Bleifragment Kat. 651 könnten auch mit der
Ausübung eines Metallhandwerks in Verbindung
zu bringen sein. Die im Bereich der südwestlichen
Ecke des Raumes P festgestellten 3,9 kg Schla-
cke (Kat. 502 – 504) dürfen vielleicht als weitere
Belege für eine metallurgische Nutzung von Raum
P angeführt werden (Diskussion und Argumentation
dagegen s. u., vgl. Kap. 11.1.4). Zwei Webgewichte
(Kat. 642 – 643) liefern vielleicht einen Hinweis auf
zusätzlich ausgeübte Textilverarbeitung, könnten
jedoch auch als Universalgewichte im Rahmen
anderer Tätigkeiten eingesetzt worden sein (vgl.
Kap. 13.3).
Zur Beleuchtung von Raum P dienten die Keramik-
lampen Kat. 315 und 317.
Das aus Raum P stammende Tafelgeschirr, darunter
sind mit Kat. 338, 631 und 638 drei Teller sowie mit
Kat. 366, 375, 379 und 412 – 413 fünf Schüsseln aus
Terra Sigillata vertreten, unterstreicht die multifunkti-
onale Nutzung des Raumes. Bemerkenswert ist der
Teller Kat. 338 mit Graffito ATA, dass vielleicht als
Besitzerinschrift auf eine Raum P frequentierende
Person bezogen werden darf. Schließlich stammt
aus dem Bereich im Südwesten des Raumes P
auch Koch- (Schüsseln Kat. 16. 27 – 28. 690) und
Vorratsgeschirr (Töpfe Kat. 79. 738), das vielleicht
für entsprechende Aktivitäten in Raum P benutzt
worden sein könnte. Es soll auch auf die Möglich-
keit hingewiesen werden, die Fundevidenz des süd-
westlichen Bereiches von Raum P auf eine ›Innen-
Außen-Situation‹ zurückzuführen, d. h., in diesem
211 Groh 1996, 75.
212 Groh 1996, 73 f. Bereich könnten Abfälle aus Nutzungskontexten in
Raum P entsorgt worden sein. Eine gewisse Bestä-
tigung könnte dieser Deutungsversuch dadurch
erfahren, dass die Schlacken Kat. 502 – 504 als
Abfälle in diesem Bereich deponiert worden sein
könnten. Diesbezüglich ist jedoch relativierend ein-
zuräumen, dass die aus dem Bereich im Südwesten
des Raumes P vorliegende Schlacke nicht zwin-
gend auf metallurgische Aktivitäten in diesem Raum
(oder dessen näherer Umgebung) zurückzuführen
sein muss. Verschlackungen können sich schließ-
lich auch unter starker Hitzeeinwirkung, z. B. wäh-
rend des Brandes um 170 n. Chr., von dem nach-
weislich auch Haus IV betroffen war, gebildet haben
(vgl. Kap. 11.1.4).
Nachdem für Raum P sowohl Koch- als auch Tafel-
geschirr vorliegt und aufgrund der Beinartefakte
mit der Ausübung entsprechender handwerklicher
Tätigkeiten zu rechnen ist, muss offenbleiben, ob
jene Tierreste von Rind und Schwein, die keine kon-
kreten Bearbeitungs- oder Zerlegungsspuren auf-
weisen, eher mit der Aufbereitung oder Konsuma-
tion tierischer Nahrung oder der Beinverarbeitung
in Verbindung zu bringen sind. Nachdem wir für die
Beinverarbeitung von einer bevorzugten Auswahl
bestimmter Rinderknochen ausgehen dürfen (vgl.
Kap. 11.2.1; 13), dürfte zumindest für die vorlie-
genden, von Schweinen stammenden Tierreste ein
Zusammenhang mit der Nahrungszubereitung oder
-aufnahme naheliegen.
Die Abfallstücke und Halbfabrikate Kat. 507,
509 –
512, 530 – 538, 540 – 549, 551 – 553, 564
– 565,
567, 572 – 573, 576 – 577, 579, 581, 584, 589,
591 –
593, 677 – 679 lassen die Unterbringung einer
beinverarbeitenden Werkstatt in Raum Q (Inven-
tar: Abb. 21) plausibel erscheinen (vgl. Kap. 11.2.1;
13)213. Der vergleichbare Befund in Raum P legt
nahe, die Räume P und Q als einen zusammenge-
hörigen Werkstattkomplex zu betrachten.
Hinsichtlich der Distribution der Beinartefakte in
den Räumen P und Q ist bemerkenswert, dass
die neutral als Leisten (z. T. mit Gehrung ver-
sehen: Kat. 516 – 523) und die als Halbrund-
stäbe (Kat. 513 – 515) angesprochenen Fundstü-
cke auf Raum P beschränkt sind, während als
Griffe (Kat. 509 – 512) und Verkleidungsplatten
(Kat. 530 – 538. 540 – 541) interpretierte Gegen-
stände sowie die formal homogene Gruppe von
stabförmigen Halbfabrikaten mit rechteckigem
Querschnitt (Kat. 542 – 547) ausschließlich aus
Raum Q stammen. Vielleicht dürfen wir dieses
Verteilungsmuster der Funde auf unterschiedliche
spezialisierte Tätigkeiten oder verschiedene Ferti-
gungsschwerpunkte in den Räumen P und Q bezie-
hen. Da nicht nur die Griffe Kat. 509 – 510 aus Raum
Q, sondern wahrscheinlich auch die Halbrundstäbe
213 Groh 1996, 75.
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Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Title
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Author
- Christoph Hinker
- Publisher
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 344
- Keywords
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321