Page - 177 - in Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
Image of the Page - 177 -
Text of the Page - 177 -
177
zeitliche Überschneidung mit dem Zeitraum der
Markomannenkriege daher möglich. Indizien, die
darüber hinaus für einen ursächlichen Zusammen-
hang mit den Markomannenkriegen sprechen wür-
den, liegen jedoch nicht vor.
P. Scherrer führt in Zusammenhang mit der Stadt-
geschichte von Cetium-St. Pölten aus: »Der Über-
fall der Markomannen und ihrer Verbündeten im
Frühjahr 170 traf die Stadt voll und führte zu einer
flächigen Brandzerstörung.«1050 Für die Brand-
zerstörung der Holzbauten der Bauphase I von
Cetium-St. Pölten liegt ein münzdatierter terminus
post quem für 170 n. Chr. vor1051. Eine Bauinschrift
von 169 – 172 n. Chr. ist zwar auf Wiederaufbau-
maßnahmen zu beziehen, ob diese direkt mit mög-
lichen Zerstörungen im Munizipium während der
Markomannenkriege um 170 n. Chr. in Beziehung
gebracht werden dürfen, lässt sich dagegen nicht
mit Sicherheit beantworten1052.
Diese Schlussfolgerungen stehen in Kontrast zu
den Feststellungen von S. Groh, der für das nörd-
lich von Cetium-St. Pölten an der Donau gelegene
Favianis-Mautern konstatiert: »Das Ende von Peri-
ode 3 gegen 170 n. Chr. fällt in die Zeit der Marko-
mannenkriege, ist jedoch nicht durch einen ›Brand-
horizont‹, der als Indiz für eine Zerstörung des Vicus
durch Brandschatzung bzw. kriegerische Ereignisse
gewertet werden dürfte, ausgezeichnet. Weder die
Grubenhütten weisen durchgehende Brandschich-
ten auf, noch bezeugt die Terra Sigillata einen über-
durchschnittlich hohen Anteil sekundär verbrann-
ter Stücke.«1053 Eine in der folgenden Periode 4
des Vicus Ost von Favianis-Mautern festgestellte
Regression in der Siedlungsentwicklung wird mit
den wirtschaftlichen Auswirkungen der Markoman-
nenkriege verknüpft1054.
Im Rahmen einer Zusammenstellung der archäo-
logischen Quellen zu den Markomannenkriegen,
insbesondere Zerstörungshorizonten in Rätien,
beurteilte T. Fischer zuletzt die Quellenlage für
Noricum und führt zu Recht an, dass »noch kein
repräsentatives Fundbild« vorliegt1055. Andererseits
wird in Verbindung mit anderen unsicheren ›Mar-
komannenkriegzerstörungen‹ in Cetium-St. Pölten,
Iuvavum-Salzburg und Ovilavis-Wels1056 davon
ausgegangen, dass die Zerstörungsspuren in Flavia
»spät« bezeichnet. Zuletzt wies M. Pollak darauf hin, dass die
vorliegenden Befunde nur wenige chronologische Schlüsse
(zwei Bauphasen ab 1./2. Jh. n. Chr., Besiedlung offenbar bis
4./5. Jh. n. Chr.) für den Vicus Hallstatt-Lahn erlauben: Pollak
2003, 331 f.
1050 Scherrer 2002, 226.
1051 Scherrer 1991a, 81. 84 f.; Scherrer 1991b, 107 Anm. 14;
Scherrer 1994, 450; zuletzt: Fischer 2012, 36.
1052 Scherrer 1994, 452. 455 Abb. 4.
1053 Groh 2006a, 234.
1054 Groh – Sedlmayer 2006a, 743.
1055 Fischer 2009, 113.
1056 Fischer 2012, 36. Solva-Wagna »den Vormarsch der Barbaren nach
Oberitalien« markieren würden1057.
Für eine Brandschuttschicht im Kastell von Lentia-
Linz, die nach Ausweis der Funde in das zweite
Viertel des 2. Jahr hunderts n. Chr. zu datieren ist,
kann nach der Zeitstellung ein Zusammenhang mit
den Markomannenkriegen ausgeschlossen wer-
den1058. Im Kombination mit der Zusammenstel-
lung und Diskussion von Fundorten durch M. Pollak
ist deshalb festzustellen, »daß das westnorische
Limesgebiet von den kriegerischen Ereignissen der
zweiten Hälfte des 2. Jahr hunderts kaum oder nur
am Rande berührt worden ist«1059.
Zuletzt stellte T. Fischer einen Überblick über
archäologische Befunde der Provinzen Rätien und
Germania superior aus der Zeit der Markomannen-
kriege zusammen und unterzog diese einer kriti-
schen Prüfung1060. Für die Provinz Rätien (Abb. 37
Nr. 32 – 39)1061 liegen mit dem Kohortenkastell und
dem Kastellvicus von Regensburg-Kumpfmühl
Fundplätze vor, deren Befunde eine Diskussion über
die Verknüpfung mit der Ereignisgeschichte auf einer
soliden Basis erlauben. Brandschichten weisen Mili-
taria auf (vgl. Kap. 16) und stammen nach Ausweis
des chronologisch sensiblen Fundspektrums mit
münzdatiertem terminus post quem 171/172 n. Chr.
aus der Zeit der Markomannenkriege1062. In Ver-
knüpfung mit den in Regensburg-Kumpfmühl vorlie-
genden Befunden eines sog. Kumpfmühl-Horizon-
tes (terminus post quem 171/172 n. Chr., terminus
ante quem 179 n. Chr.) werden Zusammenhänge
kontemporärer Zerstörungen im Regensburger
Raum mit germanischen Einfällen 170 oder 174 n.
Chr. diskutiert1063. Nach der Zusammensetzung
von Terra Sigillata (vgl. Kap. 11.1.2.5.3) und deren
Brandspuren stellt T. Fischer für die römerzeitliche
Siedlungsstelle Gauting fest: »Damit gehört auch
Gauting zu den Orten, die von den Markomannen-
kriegen heimgesucht wurden.«1064 Mit derselben
Methode schließt er für die römerzeitliche Sied-
lungsstelle Mangolding/Mintraching (Herzogmühle)
auf eine Brandzerstörung1065. Bemerkenswert ist
1057 Fischer 2009, 113 Anm. 27 (zur Ableitung eines Brandhori-
zontes in Ovilavis-Wels auf Basis verbrannter Reliefsigilla-
ten).
1058 Ployer 2005, 933. Kritische Diskussion bei Pollak 1994, 432 f.
Dagegen ohne nähere Begründung: Fischer 2012, 35.
1059 Pollak 1994, 433.
1060 Fischer 1994, 341 – 354.
1061 Kellner 1965, 154 – 174; Fischer 1994, 343 – 349; Fischer
2009, 111 – 113.
1062 Fischer 1994, 343 f.; Fischer 2009, 110 f.; zuletzt: Fischer
2012, 33.
1063 Fischer 1990, 26.
1064 Fischer 1981, 70; Fischer 1994, 346.
1065 »In den Markomannenkriegen (Ende Per. A2) brannte die An-
siedlung bei der Herzogmühle ganz offensichtlich ab […].«:
Fischer 1990, 264 (Per. A2: ca. 120 – 170 n. Chr.); Fischer
1994, 345. Zuletzt: Fischer 2012, 34.
back to the
book Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva"
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Title
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Author
- Christoph Hinker
- Publisher
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 344
- Keywords
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321