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GRAF EGBERT BELCREDI – DER „ECHTE“ KONSERVATIVE 31
betonte jetzt, die „christliche Religion kennt kein absolutes Eigentum“84
und bekannte sich als „Sozialist, in dem Sinne, daß ich soziale Forderun-
gen akzeptiere, um größere Ausbrüche zu vermeiden.“85 Der Kämpfer gegen
bürokratische Omnipotenz dachte nach über die „An-sich-Nahme des Bank-
wesens durch den Staat.“86 Der Kreis der Persönlichkeiten, die Belcredi in
diesem Zusammenhang Anregungen und Ideen, Informationen und Desin-
formationen lieferten, war weitgefächert. Er umfasste neben dem Freiherrn
Karl von Vogelsang (der mit seinen Leitartikeln im Vaterland 1883/84 öfters
Konflikte mit den böhmischen Grafen – und Zuckerindustriellen – herauf-
beschwor, die das Blatt finanzierten) eine bunte Palette von Bundesgenos-
sen, von dem frühen Wiener Antisemiten Ernst Schneider über den leicht
größenwahnsinnigen Theoretiker Richard Meyer, der in London Marx und
Engels besuchte, bis zu dem Anarchisten Franz Motz, der von der Staatspo-
lizei weiterhin ins Visier genommen wurde. Diese Verbindungen sprachen
für eine gewisse Unvoreingenommenheit, aber auch für die Frustration mit
Belcredis bisherigen Freunden: Nicht bloß den Verbündeten in Taaffes Re-
gierungsbündnis, dem „Eisernen Ring“, wie z. B. den liberalen Polen, son-
dern auch den Häuptern der böhmischen Tories, wie Clam, zum Teil selbst
Thun, gingen Belcredis Vorstöße viel zu weit.87
Auf mehr Verständnis stieß Belcredi in dieser Phase bei den alpenländi-
schen Katholiken, die auch seine Skepsis gegenüber Taaffe teilten wie z. B.
sein Südtiroler Kollege Franz v. Zallinger im Gewerbe-Ausschuss oder der
„rote Prinz“, Aloys Liechtenstein (der 1884 auch in den Kreis um das Vater-
land eintrat).88 Anfangs war hier durchaus noch ein gewisses Element der
persönlichen Rivalität spürbar: Liechtenstein überließ Belcredi die Arbeit
im Fegefeuer des Gewerbe-Ausschusses, um dann im Plenum „rhetorische
Raketen“ zu zünden, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und die Lorbee-
ren zu ernten.89 Auch die Raffinesse der beiden Liechtensteins, Aloys’ und
seines Bruders Alfred, dem Ministerpräsidenten, der sie mit der (liberalen)
Mittelpartei erpresste, 1881 einen (dezidiert katholischen) Zentrumsklub
entgegenzustellen, der seinerseits Taaffe zu erpressen versuchte, vermochte
Belcredi anfangs nicht ganz nachzuvollziehen.
84 Brief an Tekly, 26.10.1880; Tb. 6.3.1894.
85 Zitiert im Brief Ernst Schneiders, 9.8.1882.
86 Tb. 17.1.1885.
87 Wie so oft, waren Belcredis Reflexionen nicht frei von Verschwörungstheorien, wenn er z. B.
Schäffle unterstellte, den Grafen Clam im gegenteiligen Sinn zu beeinflussen, um Deutsch-
land und Bismarck den Vorrang in Sachen Sozialgesetzgebung zu sichern (Tb. 21.2.1884).
88 Brief Leo Thuns vom 20.10.1883.
89 Tb. 23.6. u. 22.11.1882.
Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Title
- Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Authors
- Lothar Höbelt
- Johannes Kalwoda
- Editor
- Jiří Malíř
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20067-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 1144
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Vorwort und Editionsrichtlinien 7
- Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 11
- Lothar Höbelt: Graf Egbert Belcredi – der „echte“ Konservative 15
- Jiří Malíř: Antonín Okáč – Leben und Werk des Herausgebers der
- Tagebücher und Korrespondenz Egbert Belcredis 39
- Bildtafeln 65
- Tagebuchaufzeichnungen 73
- 1850 75
- 1851 91
- 1852 104
- 1853 126
- 1854 145
- 1855 156
- 1856 170
- 1857 182
- 1858 189
- 1859 193
- 1860 195
- 1862 199
- 1863 212
- 1864 223
- 1865 255
- 1866 262
- 1867 307
- 1868 339
- 1869 353
- 1870 355
- 1871 356
- 1872 367
- 1873 375
- 1874 384
- 1875 400
- 1876 449
- 1877 497
- 1878 504
- 1879 530
- 1880 565
- 1881 589
- 1882 611
- 1883 653
- 1884 700
- 1885 728
- 1886 770
- 1887 793
- 1888 838
- 1889 881
- 1890 905
- 1891 945
- 1892 979
- 1893 1016
- 1894 1042
- Anhang 1059
- Anhang 1: Promemoria Graf Egbert Belcredis: Ideen zu einer
- Reform des Adels 1059
- Anhang 2: Promemoria Egbert Belcredis [zum Vaterland] 1067
- Anhang 3: Promemoria Graf Egbert Belcredis für den Brünner
- Bischof Franz Bauer 1074
- Wiederkehrende Wörter und Wendungen 1079
- Tschechisch 1079
- Lateinisch 1081
- Ortsnamenkonkordanz 1082
- Deutsch – Tschechisch 1082
- Tschechisch – Deutsch 1086
- Literatur und Nachschlagewerke 1091
- Namensregister (Auswahl) 1115