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LOTHAR
HÖBELT36
eine Nischenexistenz. Resigniert kommentierte Belcredi: „Das Blatt ist zu
gut und das Publikum zu dumm.“114
Als Belcredi über sein persönliches Vermächtnis meditierte, entschlüpfte
ihm einmal die Bemerkung, er müsse dankbar dafür sein, keine Kinder ge-
habt zu haben, weil die Sorge um ihr Wohlergehen ihn von vielen Unterneh-
mungen abgehalten hätte.115 Lösch und Ingrowitz erbte sein Neffe Ludwig
(1856–1914), der – wie oft in solchen Fällen – unmöglich die in ihn gesetzten
Erwartungen zu erfüllen vermochte: Der Sohn eines österreichischen Minis-
terpräsidenten und Schwiegersohn des deutschen Zentrumsführers Georg
Franckenstein trat pflichtgetreu ins politische Leben ein, entwickelte sich
aber zu nicht mehr als einem „Dutzendabgeordneten“, „unselbständig und
schwankend“.116 Mehr Glück hatte Belcredi mit dem Neffen seiner Frau, dem
Grafen Johann Ledebur (1842–1903), der 1895 als Ackerbauminister ins Ka-
binett Badeni eintrat, vor allem aber mit seinem Ziehsohn Graf Ernst Sil-
va-Tarouca (1860–1936), der in der konservativen Politik eine Rolle spielte,
die in vielem der Belcredis glich. 1917/18 leitete Silva-Tarouca ebenfalls das
Ackerbauministerium – und wurde im Oktober 1918 einen Nachmittag lang
von Kaiser Karl sogar zum Ministerpräsidenten designiert.117
Ledebur und Silva – beide begütert im deutschen Nordböhmen, in der Ge-
gend von Aussig – übernahmen in den letzten Jahren Belcredis, nach Leo
Thuns Tod, auch die Rolle von Verbindungsmännern zum böhmischen Adel,
mit einer Rollenverteilung, die ohne Absprachen und Konflikte offensichtlich
ihrem Temperament entgegenkam. Ledebur schloss sich dem Teil des kon-
servativen Adels an, der sich unter Windisch-Graetz von den Jungtschechen
distanzierte und einen gouvernmentalen Kurs befürwortete;118 Silva knüpfte
an Belcredis Aktivitäten in den Achtzigerjahren an und profilierte sich als
katholischer Sozialpolitiker, mit deutlichen oppositionellen Spitzen.119 In
Mähren fand Belcredi mit Graf Otto Serényi (1855–1927), dem Sohn seines
früh verstorbenen Kollegen Gabor Serényi, einen talentierten Nachfolger
an der Spitze der Konservativen, der seit dem Mährischen Ausgleich 1906
Gottfried pfaffenBerger, Die ‚Reichspost’ und die christlichsoziale Bewegung. Die Kampf-
zeit bis zur Jahrhundertwende mit besonderer Berücksichtigung der Gründungsepoche,
phil. Diss. Wien 1948.
114 Tb. 3.1.1894.
115 Tb. 19.10.1892, auch schon 17.8.1892.
116 Tb. 14.2.1891, 26.11.1892.
117 Vgl. den Brief Silva-Taroucas an seine Frau vom 14.10.1918, für dessen Überlassung ich
Ernst v. Rutkowski herzlich danke.
118 Anfangs reagierte Belcredi darauf übrigens noch mit Unverständnis; vgl. Tb. 18.4.1892.
119 So reaktivierte Silva-Tarouca auch den zwischenzeitlich nach Amerika emigrierten Rudolf
Meyer; vgl. Tb. 1.2.1893.
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Title
- Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Authors
- Lothar Höbelt
- Johannes Kalwoda
- Editor
- Jiří Malíř
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20067-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 1144
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Vorwort und Editionsrichtlinien 7
- Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 11
- Lothar Höbelt: Graf Egbert Belcredi – der „echte“ Konservative 15
- Jiří Malíř: Antonín Okáč – Leben und Werk des Herausgebers der
- Tagebücher und Korrespondenz Egbert Belcredis 39
- Bildtafeln 65
- Tagebuchaufzeichnungen 73
- 1850 75
- 1851 91
- 1852 104
- 1853 126
- 1854 145
- 1855 156
- 1856 170
- 1857 182
- 1858 189
- 1859 193
- 1860 195
- 1862 199
- 1863 212
- 1864 223
- 1865 255
- 1866 262
- 1867 307
- 1868 339
- 1869 353
- 1870 355
- 1871 356
- 1872 367
- 1873 375
- 1874 384
- 1875 400
- 1876 449
- 1877 497
- 1878 504
- 1879 530
- 1880 565
- 1881 589
- 1882 611
- 1883 653
- 1884 700
- 1885 728
- 1886 770
- 1887 793
- 1888 838
- 1889 881
- 1890 905
- 1891 945
- 1892 979
- 1893 1016
- 1894 1042
- Anhang 1059
- Anhang 1: Promemoria Graf Egbert Belcredis: Ideen zu einer
- Reform des Adels 1059
- Anhang 2: Promemoria Egbert Belcredis [zum Vaterland] 1067
- Anhang 3: Promemoria Graf Egbert Belcredis für den Brünner
- Bischof Franz Bauer 1074
- Wiederkehrende Wörter und Wendungen 1079
- Tschechisch 1079
- Lateinisch 1081
- Ortsnamenkonkordanz 1082
- Deutsch – Tschechisch 1082
- Tschechisch – Deutsch 1086
- Literatur und Nachschlagewerke 1091
- Namensregister (Auswahl) 1115