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Diese wurden natürlich aus dem dem Fürsten am nächsten stehenden
Teile des Volkes, dem Adel, gewählt, zu würdiger Beherbergung der Gäste
und zu allgemeiner Lust [wurden] Prachtbauten, Jagden, herrliche Feste
veranstaltet; da das eigene Vermögen der Fürsten hiezu natürlich nicht aus-
reichte, [wurde] das Volk mit Steuern und Auflagen gedrückt und endlich
entfremdet. –
Der Adel gefiel sich bald in diesem tollen Leben, überbot sich gegenseitig
in Pracht und Aufwand, vorzüglich da dadurch und durch die Liebenswür-
digkeit im Umgang die Huld des Fürsten am leichtesten, ja fast ausschlie-
ßend erworben werden konnte, verfiel in Oberflächigkeit und Zerstreuungs-
sucht, entfremdete sich der strengen Sitte wie dem Glauben seiner Väter.
Eine der zuerst eintretenden schlimmen Folgen war der Verfall der ererb-
ten oder erworbenen Landgüter durch die Entfernung ihrer Herrn, die nun
anstatt auf ihren Herrschaften die meiste Zeit am Hofe und in den Städten
zubrachten, und ihr die Einkünfte übersteigender Aufwand. Bei der hie-
durch anwachsenden Schuldenlast verminderte sich noch das frühere Ein-
kommen, da ohne Aufsicht des Herrn seine Quellen immer spärlicher fließen
und ganz versiegen mussten.
Eine weitere Folge war die Entfremdung, die zwischen den ferne ihr Ein-
kommen verzehrenden Herren und ihren der Willkür von Beamten überlas-
senen Untertanen eintreten musste.
Das frühere, zwischen ihnen auf gegenseitige Leistung begründete Ver-
hältnis war gelockert. Die Herren kannten die Interessen, Bedürfnisse,
Wünsche und Denkungsweise ihrer pflegebefohlenen Untertanen nicht
mehr, wurden im Strudel ihrer Vergnügungen immer gleichgültiger dage-
gen. Den Untertanen andrerseits erschienen nicht nur ihre Herrn, die sie
gar nicht mehr oder nur als fruges consumere nati225 z. B. zu sehen sich
gewöhnten, mit welchen aller unmittelbare Verkehr aufgehört, in einem
höchst gleichgültigen, ja gehässigen Lichte.
Ihre Leistungen wurden ihnen verhasst, als sie nicht mehr einem in ihrer
Mitte lebenden, ihre Freuden und Leiden teilenden, ihnen Hilfe und Wohl-
taten erweisenden Herren, sondern solchen zugute kamen, die von ihnen
kaum gesehen, noch weniger aber gekannt, das Produkt ihrer Arbeit in der
Ferne verprassten! –
Der natürliche Neid und Hass des Ärmern gegen den Reichen erhielt hier
einen mächtigen Anstoß. –
225 Bezeichnung von Müßiggängern, Teil eines Ausspruchs von Horaz aus dem 2. Brief an Lol-
lius (Hor. Epist. 2,2): „Nos numeros sumus et fruges consumere nati“ [Nullen sind wir, die
Früchte der Erde verbrauchend].
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Title
- Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Authors
- Lothar Höbelt
- Johannes Kalwoda
- Editor
- Jiří Malíř
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20067-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 1144
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Vorwort und Editionsrichtlinien 7
- Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 11
- Lothar Höbelt: Graf Egbert Belcredi – der „echte“ Konservative 15
- Jiří Malíř: Antonín Okáč – Leben und Werk des Herausgebers der
- Tagebücher und Korrespondenz Egbert Belcredis 39
- Bildtafeln 65
- Tagebuchaufzeichnungen 73
- 1850 75
- 1851 91
- 1852 104
- 1853 126
- 1854 145
- 1855 156
- 1856 170
- 1857 182
- 1858 189
- 1859 193
- 1860 195
- 1862 199
- 1863 212
- 1864 223
- 1865 255
- 1866 262
- 1867 307
- 1868 339
- 1869 353
- 1870 355
- 1871 356
- 1872 367
- 1873 375
- 1874 384
- 1875 400
- 1876 449
- 1877 497
- 1878 504
- 1879 530
- 1880 565
- 1881 589
- 1882 611
- 1883 653
- 1884 700
- 1885 728
- 1886 770
- 1887 793
- 1888 838
- 1889 881
- 1890 905
- 1891 945
- 1892 979
- 1893 1016
- 1894 1042
- Anhang 1059
- Anhang 1: Promemoria Graf Egbert Belcredis: Ideen zu einer
- Reform des Adels 1059
- Anhang 2: Promemoria Egbert Belcredis [zum Vaterland] 1067
- Anhang 3: Promemoria Graf Egbert Belcredis für den Brünner
- Bischof Franz Bauer 1074
- Wiederkehrende Wörter und Wendungen 1079
- Tschechisch 1079
- Lateinisch 1081
- Ortsnamenkonkordanz 1082
- Deutsch – Tschechisch 1082
- Tschechisch – Deutsch 1086
- Literatur und Nachschlagewerke 1091
- Namensregister (Auswahl) 1115