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INGROWITZ, 27. AUGUST 1855 165
Bei dieser im Einverständnis mit den Fürsten von der Demokratie zuerst
gegen den Adel geübten Taktik hatte diese den Vorteil, dass sie immer zwei
Fliegen mit derselben Klappe schlug und mit der Vernichtung des Ansehens
und der Macht des Adels jene der Fürsten zugleich untergrub.
Die Fürsten waren und sind blind geblieben, und keiner der berüchtigts-
ten Lehrer thronesstürzender, Glauben vernichtender Sätze hat so mächtig
im Sinne des Umsturzes gewirkt, als z. B. ein Ludwig XIV. Hier habe ich es
jedoch nur mit dem Adel zu tun, dessen Blindheit nicht minder dicht war
und wohl noch ist.
Die Folgen der Glaubens- und Sittenlosigkeit, des Hoflebens, welches
man durch Verleihung leerer Kämmererstitel bis in die neuste Gegenwart
lockend machen will; die dadurch bewirkte Vernichtung alles ernstern, wür-
digern Geistes und Strebens; das Jagen nach Befriedigung einer Eitelkeit,
die ihre höchsten Triumphe feiert, wenn es ihr gelungen ist, einen leeren
Titel, ein färbiges Bändchen, eine Einladung zu einem kleinen Hofzirkel zu
erhaschen; sich in stets neuen Equipagen und Livreen dem gaffenden Pö-
bel zu produzieren; selbst auf dem Lande in törichtem Vergnügungstaumel
mit Genossen „aus der Gesellschaft“ sein Vermögen zu vergeuden – habe ich
bereits kurz berührt. Sie alle wirken mächtig zum Verfall des Adels zusam-
men. Eine jener Folgen des Hof- und Städtelebens aber, die mir besonders
wirksam bei diesem Zerstörungswerk zu sein scheint, will ich hier besonders
hervorheben. Es ist dies die Isolierung des Adels in allen seinen Beziehun-
gen zum übrigen Leben des Volkes. –
Das Leben an den Höfen, zu welchem der Adel allein befähigte – wahrlich
ein teuer bezahltes Privilegium! – die Ehre, der auserwählte Genosse der
Zerstreuungen und Vergnügungen der Fürsten zu sein, gab das Gefühl einer
isolierten bevorzugten Stellung, erzeugte jenen Dünkel und unberechtigten
Stolz, der zur Aufgeblasenheit und Überhebung führt. Die vollständige Iso-
lierung von andern Klassen ergab sich aus zwei Ursachen von selbst.
Die erste war, dass der Adel sich in dieser eingebildeten Hoheit vor jeder
Berührung mit andern Menschen sorgfältig hütete.
Die zweite, dass eben jene andern Menschen sich von einem Stande ent-
fernt hielten, der sie in seiner hohlen Aufgeblasenheit bei jeder Gelegenheit
seine Vortrefflichkeit und ihre Unwürdigkeit empfindlich fühlen ließ, den
Stolz, der unerträglich wurde, da ihm kein Verdienst mehr hinreichend
rechtfertigte, mit Neid, Hohn und Hass tausendfach vergalten.
Als noch der Edelmann auf seinem Erbgut saß, seiner Familie, seinen Un-
tertanen, den Interessen seines Besitzes und Landes Zeit, Kraft und Auf-
merksamkeit ausschließend widmete, da war es anders. Das Bewusstsein
seines Edelsinns, seiner Macht, Wohltätigkeit und seines Einflusses war le-
bendig in allen. Der Verkehr mit andern, die Sittenstrenge und Gottesfurcht,
Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Title
- Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Authors
- Lothar Höbelt
- Johannes Kalwoda
- Editor
- Jiří Malíř
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20067-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 1144
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Vorwort und Editionsrichtlinien 7
- Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 11
- Lothar Höbelt: Graf Egbert Belcredi – der „echte“ Konservative 15
- Jiří Malíř: Antonín Okáč – Leben und Werk des Herausgebers der
- Tagebücher und Korrespondenz Egbert Belcredis 39
- Bildtafeln 65
- Tagebuchaufzeichnungen 73
- 1850 75
- 1851 91
- 1852 104
- 1853 126
- 1854 145
- 1855 156
- 1856 170
- 1857 182
- 1858 189
- 1859 193
- 1860 195
- 1862 199
- 1863 212
- 1864 223
- 1865 255
- 1866 262
- 1867 307
- 1868 339
- 1869 353
- 1870 355
- 1871 356
- 1872 367
- 1873 375
- 1874 384
- 1875 400
- 1876 449
- 1877 497
- 1878 504
- 1879 530
- 1880 565
- 1881 589
- 1882 611
- 1883 653
- 1884 700
- 1885 728
- 1886 770
- 1887 793
- 1888 838
- 1889 881
- 1890 905
- 1891 945
- 1892 979
- 1893 1016
- 1894 1042
- Anhang 1059
- Anhang 1: Promemoria Graf Egbert Belcredis: Ideen zu einer
- Reform des Adels 1059
- Anhang 2: Promemoria Egbert Belcredis [zum Vaterland] 1067
- Anhang 3: Promemoria Graf Egbert Belcredis für den Brünner
- Bischof Franz Bauer 1074
- Wiederkehrende Wörter und Wendungen 1079
- Tschechisch 1079
- Lateinisch 1081
- Ortsnamenkonkordanz 1082
- Deutsch – Tschechisch 1082
- Tschechisch – Deutsch 1086
- Literatur und Nachschlagewerke 1091
- Namensregister (Auswahl) 1115